fernöstlicher diwan: Wenn Hosenbeutel über japanischen Rasen rennen
Becks mit Schlafzimmerblick
Ja gut, um gleich mal den richtigen Einstieg zu finden, zum Limey zu fahren, um das erste Deutschland- und das erste England-Spiel zu gucken, war Zufall. Ich bin auch nicht wegen der Jubilee-Week gefahren, ist mir doch schnurzpiepe, ob die Queen nun 50 oder schon 500 Jahre winkt. Dem Limey allerdings nicht. Dem war das letzte Wochenende quasi Ostern und Weihnachten und Coming-out und Geburt des Stammhalters auf einmal.
Der natürlich, sollte er wirklich an diesem Wochenende geboren werden (oder sein Coming-out haben), David genannt würde. Obwohl „Golden Balls (Mr. Beckham to you!)“, so lautet der Titel eines der englischen „Footie Tunes“, also speziell komponierten World-Cup-Songs, doch recht blass blieb beim langweiligen 1:1 am Sonntagmorgen gegen die Wikinger, das ich in einem echten Londoner Pub zusammen mit echten Londoner Prolls in echter, mit schweißigem Männer-Hors-d’oeuvre und Frauen-Bier-Atem
JENNI ZYLKAS WM
Mein Spieler: Owen Hargreaves
Mein Team: eure Jungs
Mein Weltmeister: Belgien – die Schalker bringen’s
angereicherter Luft erleben durfte. Als Erstes krisch eine Dicke neben mir gleich los: „We need a campaign for shorter shorts!“, angesichts der wirklich hässlichen Beutel, die um Beckhams, Coles, Owens und des süßen Owen Hargreaves Beine schlotterten. Den wollte mir mein Panini-Fußballsticker-Sammelheft übrigens vorenthalten: von ihm fehlt jede Spur. Ich habe ohnehin erst einen englischen Spieler aufs Papier gepappt, und zwar ausgerechnet den Keeper. Aber ich habe mir schon vorgenommen, ein paar kleine Jungs zum Tauschen zu überreden und alle England-Lobben mit Hargreaves’ niedlichem Lächeln zu überkleben.
Und sämtliche Deutsche gleich mit. Die mit ihrem doofen 8:0! So etwas konnte man ja nicht ahnen, geschweige denn beim Stockbroker um die Ecke auf dem extrem komplizierten Tippschein (Stakes? Perms? Draw? Wo ist mein bloody Vokabelheft?!) tippen. Glücklicherweise hat das Ergebnis in London niemanden interessiert, es wurde sogar geradezu totgeschwiegen. „Wir lieben Tore. Sogar deutsche“, murmelte einer der Kommentatoren nach dem Spiel am Samstag kurz, dann wurde in drei Sätzen abgehandelt, was für ein SCHLECHTES Spiel das doch gewesen sei, als ob die Saudis ÜBERHAUPT nicht auf dem Platz gewesen wären, und von einer Leistung KANN MAN doch wohl nicht sprechen. Und damit war das Thema durch, und man konnte sich wieder UNSEREN JUNGS widmen. SO geht nämlich schön voreingenommener, parteiischer Fußball! Und nicht immer dieses alberne, faire „der Beste soll gewinnen“. Wo sind wir denn, in Hippieland?!
Unsere Jungs, also jetzt des Limey Jungs, werden dementsprechend auch gerne und diffus matriarchalisch „mein Sohn“ genannt. Tommies beiderlei Geschlechts bellen „come on, my son!“ (und zwar nicht nur beim reizenden, blutjungen Hargreaves), wenn die Hosenbeutel über den japanischen Rasen rennen. Beckham ist natürlich der Sohn Nr. 1, sozusagen das Muttersöhnchen. Der Stammhalter. Wofür der alles herhalten muss! Wann immer irgendjemand irgendeine Art von Frisur hat, wird gleich an Beckhams Pseudo-Iro gemessen: „Siege“, wie die englischen Kommentatoren Ziege nennen, zum Beispiel, hat angeblich „fast einen Beckham-Schnitt“. Ein Wunder, dass sie Seamans Alt-Sleaze-Rocker-Zopf nicht als „länger als Beckham“ oder einen der vielen schwedischen Anderssons nicht als „wie Beckham, aber mit Vollbart“ betiteln.
Beckham wird selbstverständlich auch in Comedy-Sendungen zitiert: „Das war ein Wochenende! Es fing am Samstag an, oder eigentlich Freitag, und ging bis Sonntag“, äfft eine Comedienne in der BBC-Show „Have I got news for you“ Beckhams messerscharfe Abstraktionsfähigkeit (und seine Babystimme) nach. Vom Schwulenblatt über rechts außen bis links außen haben alle Becks mit wenig an auf dem Cover und Becks mit Schlafzimmerblick und angespannter Arm- und Schenkelmuskulatur innen drin. War Fußball jemals so homophil? Dabei mag ich mir Gary Lineker, der mit todschicken grauen Schläfen und unfreiwilligen One-Liners das Match of the day präsentieren darf, auch gerne mit Babyöl eingerieben und offener Hose in schwarzweiß vorstellen. Denn der Mann ist wirklich in Würde gealtert.
JENNI ZYLKA
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen