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berliner szenen WM auf Türkisch

Der Samba-Schwindel

Im türkischen Café saßen zwölf türkische Männer an den Tischen, im Barbereich guckten weitere auf den Fernseher über der Tür. An der Wand hing das Bild einer braun gebrannten barbusigen Frau mit fußballähnlichen Brüsten. Die meisten schienen einander zu kennen. Ein flinker Kleiner mit langen Haaren, der so aussah, als wenn er gut Fußball spielen könnte, redete viel und aufgeregt. Als Kreuzberger waren wir natürlich für die Türkei. Immer wieder wiederholte jemand das Zitat des brasilianischen Nationaltrainers, der gesagt hatte, „40 Prozent unserer wahren Leistungsstärke sollte gegen die Türkei ausreichen“. Man saß sehr bequem, neben einem das Fenster und draußen der Sommer; man guckte meist schweigend und vorne der Fußball, den der Spieler Sas ins brasilianische Tor schoss. Noch etwas unsicher bestärkte man sich darin, in der zweiten Halbzeit noch ein Tor zu schießen. Nach dem „Samba-Schwindel“ der Brasilianer, dem zu Unrecht gegebenen Strafstoß kurz vor Schluss, der fiesen Schauspielerei von Rivaldo, die zur unberechtigten roten Karte gegen Ünsal führte, war Schluss und nur noch hilflos die Worte. Nie mehr wird man für Brasilien sein, selbst wenn sie gegen Deutschland spielen sollten. Zwei Männer, die am Potsdamer Platz waren, erzählten am Morgen, dass Brasilianer Türken „ganz übel“, auch mit Frauen provoziert gehabt hätten und dann sei es halt zur Schlägerei gekommen. Als es noch unentschieden stand, hob ein chinesischer Spieler anerkennend den Daumen nach einem gelungenen Pass; ein Schmetterling flatterte neben seinem Daumen und man dachte an die Geschichte von dem Schmettlerling, der davon träumte, ein Mensch zu sein, und dann auch nicht mehr weiterwusste. DETLEF KUHLBRODT

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