: Die WWW-Krise schlägt durch
Von Messehektik und Aufbruchstimmung ist auf der Internet World kaum noch etwas zu spüren. Zahl der Aussteller sinkt um 40 Prozent
von RICHARD ROTHER
Den ersten Eindruck gibt es immer auf dem Parkplatz. Hier, irgendwo im Niemandsland zwischen Autobahnauffahrten und Funkturm, müsste eigentlich der Teufel los sein: Hupende Autos, hektisch einen Standplatz suchend, wild gestikulierende Anzugträger, die einen Termin mit Kunden verpassen könnten, künden von großen Events auf dem Messegelände. Gestern, am Eröffnungstag der Internet World, sah es anders aus: Es gibt so viele Parkplätze, dass sich der Besucher aussuchen kann, ob er den Schatten eines Ahorns oder einer Platane bevorzugt.
Drinnen sieht es kaum anders aus. Zwar sind die Hallen leidlich gefüllt, von Euphorie oder Aufbruchstimmung ist aber wenig zu spüren – die Marketingleute an den Ständen verbreiten Berufsoptimismus, aber auf den Gängen sieht man manch langes Gesicht. Die Brezelverkäuferin kann ein Lied davon singen: „Nüscht los.“ Statt elf sind in diesem Jahr nur drei Verkaufswagen im Einsatz.
Fast schon verzweifelt versucht in einer Halle ein Auktionsleiter, mit der Versteigerung von Computerzubehör Stimmung zu machen. Aber im Vergleich zum Vorjahr, als an gleicher Stelle hunderte Teenager ein oranges „Handy.de“-T-Shirt gewinnen wollten, wirkt das Ganze ziemlich müde. Und gerade mal ein paar Köpfe drehen sich, als auf einem Bildschirm ein NTV-Bericht über die FDP-Affäre läuft.
Es ist nicht zu übersehen: Die Krise der Branche hat auf die größte Messe der Szene in Deutschland durchgeschlagen. Das drückt sich auch in Zahlen aus. Mit rund 550 Aussteller kamen rund 40 Prozent weniger als im Vorjahr. Zu den Themenschwerpunkten gehören in diesem Jahr Lösungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce), die Verwaltung von Internet-Inhalten (Content Management). Einen eigenen Bereich widmet die Messe dem Thema IT-Sicherheit.
Die Aussteller sähen ihren Messeauftritt als Vorbereitung für eine positive Zukunft nach einem schwierigen Jahr, in dem die Branche gebeutelt worden sei, ist sich Messe-Organisatorin Michaele Voltenauer sicher. Schließlich hätten viele Internet-Unternehmen ihren Break Event erreicht, mit E-Commerce werde teilweise schon Geld verdient.
Immer wichtiger werden dafür kleine und Kleinstbeträge, die die Web-Anbieter im Massengeschäft einzunehmen suchen, seitdem die Werbe-Einnahmen eingebrochen sind. Beispiel SMS: Konnten die User noch vor einem Jahr fast überall aus dem Netz kostenlos Kurznachrichten an Handys versenden, muss nun für das Simsen bezahlt werden. Der Vorteil für Nutzer: Die SMS sind billiger und bequemer als vom Handy. Dieses Geschäftsmodell beginne sich langsam durchzusetzten, sagt ein Insider. Zum Beispiel bei Speditionsfirmen, die per SMS mit ihren Fahrern kommunizieren.
Die Internet-Firmen, die vor Jahren hoch hinaus wollten, lernen daraus: Kleinvieh macht auch Mist. Eine Einstellung, die direkt auf der Messe zu spüren ist. Wurde hier früher Kaffee kostenlos ausgeschenkt, um ins Gespräch mit Kunden zu kommen, muss nun schon mal ein Euro auf den Tisch gelegt werden.
Die Internet World ist dennoch eine angenehme Messe. Wer in der Mittagspause chillen will, muss sich nicht in den christlichen „Raum der Stille“ zurückziehen, sondern kann sich dort niederlassen, wo vor Jahresfrist noch Entertainment-Programme tobten: auf einer grünen Wiese direkt neben Halle 5.
Keine Spur von Werbelärm und Messehektik: Die Birkenblätter rauschen im Wind, die Vögel zwitschern, und der ferne Sound der Autobahn verrät die Gewissheit, dass man – noch Möllemanns Unverschämtheiten im Ohr – jederzeit das Weite suchen kann. Nicht virtuell, sondern wirklich.
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