: Superheld und Erbsünde
B-Hero, allerdings mit A-Rating: In Sam Raimis Verfilmung wird „Spider-Man“ recht erwachsen
von MARTIN ZEYN
Wie komme ich an ein schickes Superheldenoutfit? Wie an einen coolen Namen? Wie erkläre ich meinem Lehrer das regelmäßige Zuspätkommen, da ich noch ein paar Ganoven verprügeln muss?
Anders als der Milliardär Batman oder der Alleskönner Superman hat Peter Parker alias Spider-Man ganz alltägliche Probleme zu lösen, darunter die allbekannten der Adoleszenz: Liebeskummer und Minderwertigkeitskomplexe. Er ist das Aschenputtel unter den Superhelden, jung, verletzbar, aus kleinen Verhältnissen. Ein B-Hero, allerdings mit A-Rating: Seit 1963 findet sich Spider-Man immer wieder an der Spitze der verkauften Comichefte. Große Teile der männlichen Bevölkerung der USA wurden mit Spider-Man sozialisiert; und da auch Männer an ihren Spielsachen hängen, schlug die Verfilmung am ersten Wochenende alle Kassenrekorde.
Die Story lehnt sich an die von Stan Lee geschaffene und von Steve Ditko gezeichnete Marvel-Comicfigur an. Parker wird von einer genmanipulierten Spinne gebissen und entwickelt daraufhin besondere Fähigkeiten. Er kann senkrechte Wände erklimmen, an seinen Armen ejakulieren Drüsen praktische Spinnennetze und er spürt drohende Gefahren im Voraus. Heraus kommt ein Adoleszenzmärchen von verkannter Größe und Doppelexistenz: Man ist ein Held, nur weiß keiner davon. Und noch nie wurde die Genese eines Superhelden so realistisch gezeigt. Bei seinem ersten Auftritt trägt Parker einen selbst genähten Sweater und schlabberige Trainingshosen, beim ersten Ausflug prallt er auf eine Wand, da er noch nicht weiß, wie er seine Kräfte einsetzen muss.
Tobey Maguire, der schon in „Pleasantville“ den begnadeten Eckensteher gab, spielt Peter Parker mit einem so harmlosen Grinsen, dass er jeden überzeugt, er könne nicht Spider-Man sein. Auch die angebetete Mary Jane (Kirsten Dunst) ist kein Glamourgirl, nicht einmal eine edle Einfalt. In der Highschool geht sie mit dem Typen mit den meisten PS, sie will Schauspielerin werden und jobbt doch nur in einem Imbiss. Zugegeben, am Ende zeigt sie dann doch ihr besseres Ich. Zwischendrin darf sie – in der Pubertät agieren die Mädchen – in einer sexuell aufgeladenen Szene langsam einem kopfüber hängenden Spider-Man die Maske halb herunterziehen. Als sie mehr will, flieht er, so kommt es nur zum Kuss. Offenkundige Charaktergröße in Form von Verschlagenheit wird nur dem Schurken Osborn alias Grüner Kobold zugebilligt, einer Mischung aus mad scientist und Jekyll/Hyde. William Dafoe gibt in eleganter Bosheit diese schablonenhaft definierte Figur. In einer zentralen Szene vor einem Spiegel entdeckt der Wissenschaftler sein anderes, gemeines Ich. Dafoe tänzelt hinterlistig, bevor er sein bösartiges Lächeln präsentiert – großes Theater. Leider lässt ihn Regisseur Sam Raimi von nun an meist in einem massigen Plastikanzug auftreten.
So überraschend gelungen das Casting, so enttäuschend die Grundfesten des Actionfilms: die Kampfszenen. Zu oft sehen sie aus wie eine Betaversion des zugehörigen Computerspiels mit den zwei Funktionen Ins-Gesicht- und In-den-Magen-Hauen. Im Comic muss Spider-Man wegen seiner Verletzlichkeit artistisch ausweichen, was er mit Schlagfertigkeit ausgleicht. Auch die Spinnweben, denen Zeichner wie Todd McFarlane exorbitante Denkmäler gesetzt haben, werden im Film nahezu aufs Hilfsmittel zur tarzanmäßigen Fortbewegung zwischen den Hochhäusern New Yorks reduziert.
Geschickter als in der Vorlage indes spitzt Sam Raimi, der bisher vor allem mit dem Horrorstreifen „Tanz der Teufel“ hervorgetreten ist, die moralische Zwangslage zu. Wie auch immer Spider-Man handelt, er gerät in Entscheidungsnöte. Dem sterbenden Superschurken Osborn verspricht er, dessen Sohn nicht zu enthüllen, dass der Vater ein Verbrecher ist. Zufällig sieht der Sohn, wie Spider-Man den toten Vater zurückbringt. Nun ist der Sohn auch noch der beste Freund von Peter Parker – und schwört ewige Rache. Das Motiv der Superhelden-Erbsünde, mit dem eigenen Handeln immer auch Schuld auf sich zu laden, relativiert die Allmachtsfantasien der kompletten Beherrschung der Außenwelt. So gesehen ist Spider-Man, der pubertierendste unter den Superhelden, der einzige Erwachsene unter ihnen.
„Spider-Man“. Regie: Sam Raimi. Mit Tobey Maguire, Willem Dafoe, Kirsten Dunst u. a. USA 2001, 123 Min.
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