: „Die Wirklichkeit erfinden“
Er hat die Sets der Bond-Filme gestaltet und Ronald Reagan verwirrt: Der Filmdesigner Ken Adam über Bauhaus, expressionistische Schrägen und die digitalen Räume heutiger Filmproduktionen
Interview ANKE LEWEKE
taz: Herr Adam, klaustrophobische Räume ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Werk. Es gibt den War Room in Kubricks „Dr. Strangelove“, die Kommandozentralen in den Bond-Filmen oder Dr. Nos Tarantelzimmer, aus dem es kein Entkommen gibt für Sean Connery. Wie erklären Sie sich das?
Ken Adam: Es wird immer wieder gesagt, dass sich die Verfolgungen durch die Nazis, die Emigration nach England in diesen Räumen widerspiegeln. Ich glaube das nicht. Es war vielmehr der deutsche expressionistische Stil: Filme wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“ oder „Mabuse“, die mich beeinflusst haben. Die Schrägen, die künstliche Dramaturgie, die ja nicht die Realität war. Und die leichte Verschiebung der Perspektive, das alles hat mir sehr gelegen. Mit meinen Sets wollte ich wie die Expressionisten die Wirklichkeit nicht einfach nur nachbauen, sondern sie stets in überhöhter Form neu erfinden. Ich wollte die Wirklichkeit theatralisieren.
Zugleich haben die hoch technisierten Trutzburgen, die futuristischen Anwesen der Bond-Bösewichter auch etwas sehr Funktionales. Das Tarantelzimmer besteht aus einer Spinne, einem Stuhl und einer unerreichbaren Öffnung, durch die Licht fällt, sodass ein Spiel mit Licht und Schatten möglich ist. Hängt die Reduziertheit Ihrer Modelle mit dem Bauhaus-Einfluss Ihrer Kindheit zusammen? Ihr Vater hatte eine Sportbekleidungsfirma, und Mies van der Rohe hat ein neues Ladengeschäft für ihn entworfen.
Sie müssten mal die Fotos von Mies van der Rohes Projekt sehen. Es war umwerfend. Ich wünschte, dass Berlin heute so modern aussehen würde. Die klaren Linien und der grafische Ansatz des Bauhauses haben mich sehr beeinflusst. Aber ich habe bei Bond auch immer versucht, die strenge Architektur mit ein bisschen Humor aufzumischen, damit sie lebendiger wurde. Denken Sie doch nur an Curd Jürgens’ Unterwasserlaboratorium aus „Der Spion, der mich liebte“. Mit den großen angeschrägten Fenstern und den dünnen Trägerbeinen erinnert es an eine Spinne. Da schlagen der Größenwahn, die Machtbesessenheit doch schon durch den Set ins Groteske um.
Manche Ihrer Bauten scheinen realer als das Leben selbst. Als Ronald Reagan zum ersten Mal das Weiße Haus betrat, wollte er prompt in den so genannten War Room geführt werden, weil er den aus „Dr. Strangelove“ kannte.
Wir drehten den Film zur Zeit der Kubakrise. Da hatten wir schon alle Angst, dass eine Atombombe gezündet werden könnte. Diese beklemmende Stimmung muss sich in dem Raum niedergeschlagen haben. Sobald Kubrick, die Schauspieler und ich den War Room betraten, überkam uns ein unheimliches Gefühl. Das hat der Dramaturgie dieser Szenen sicher geholfen, wir mussten dem Publikum nichts vorgaukeln. Zugleich waren die Enge und Abgeschlossenheit wirklich vorhanden. Damals war es üblich, keine Decken für die Wände zu bauen, die Sets wurden von der Galerie aus beleuchtet. Doch Kubrick verlangte von mir, dass ich alles dicht machte, und die Schauspieler wurden durch den Lichtring an der Decke ausgeleuchtet. Die Klaustrophobie war also beim Drehen vorhanden. Und ich glaube, dass dieses Gefühl der Authentizität auf den Zuschauer übergeht.
Authentizität oder Echtheit scheinen ohnehin Ihr Berufsethos zu sein. Sie haben so viel wie möglich tatsächlich gebaut, zum Beispiel den Vulkan mit Schiebedach aus „Moonraker“.
Bei den Bond-Filmen waren unsere Sets bis zu 80 Prozent echt. Wenn es ums Zerstören ging, haben wir sie manchmal noch als Miniaturmodelle nachgebaut. Und wenn ich heute mit Kinofans spreche, dann haben die Produzenten und wir damals Recht gehabt. Denn wenn die Leute über die im Computer erzeugten Bilder reden, geben mir alle die gleiche Antwort: „Wir wissen, das sind künstliche Bilder. Wenn wir früher die Monumentalfilme mit 10.000 Statisten gesehen haben, dann wussten wir, dass es auch so viel waren. Wir wussten, dass da Wirklichkeit gebaut wurde.“ Die gebaute Wirklichkeit, das war damals die Attraktion.
Also stehen Sie der digitalen Technik skeptisch gegenüber.
Ich habe kürzlich „Lord of the Rings“ gesehen, das war schon ein unglaubliches Erlebnis. Der Computer ist wunderbar, um Effekte zu kreieren. Aber man sollte es nicht übertreiben. Man braucht sich nur „2001 – Odyssee im Weltall“ anzuschauen, da gab es die Computertechnik noch nicht. Es wurde alles mit Draht und Zahnrädern gemacht, und es sieht auch heute noch fantastisch aus. Ein Computer kann die Vision nicht ersetzen.
Was ändert sich konkret durch den Computer beim Arbeitsprozess eines Setdesigners?
Früher gab es nur das leere Blatt und den Stift, mehr nicht. Ganz instinktiv habe ich losgezeichnet. Manchmal hat mich das Ergebnis selbst verblüfft, dieser Vorgang hatte fast schon etwas Erotisches. Wenn ich mir so manche Kurven meiner Zeichnungen heute anschaue, dann finde ich sie einfach sexy. Ich glaube, dass vor dem Computer das instinktive Moment zu kurz kommt und damit auch ein Teil der Kreativität verloren geht. Wenn ich etwas zeichne, dann fühle ich, wie ich es zeichne. Aber kann ich fühlen, was der Computer errechnet?
Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main zeigt bis zum 15. 9. die Ausstellung „Ken Adam – Visionäre Filmwelten“. Außerdem ist erschienen: Alexander Smoltczyk: „James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam“, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 202, 259 Seiten, 24,90 €
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