: Einen Rest Demokratie erhalten
betr.: „Schröder an seine Jünger: Gehet hin zu den Menschen“, „Aus Verzweiflung begeistert“, taz vom 3. 6. 02
Der Wahlparteitag der SPD zeigt einmal mehr jenen strahlenden Kandidatentyp, der sich der schwierigen Fragen des Lebens nicht annimmt, sondern sie galant zu umschiffen versucht. Gerhard Schröder ist darauf bedacht, jedem Bürger, gleich welcher politischen Grundeinstellung, genehm zu sein und proklamiert die Mitte für sich. Stößt er in einem Punkt auf Widerstand, rudert er sofort zurück. Der Konsens ist das Ziel, das über allem steht.
Mit dieser Strategie tut er weder sich noch dem Land, dem er vorsteht, einen Gefallen. Im Zweifel bleiben wichtige Reformen auf der Strecke. Mutigere Länder ziehen an Deutschland vorbei. Die rote Laterne in der konjunkturellen Bewertung der EU-Staaten war ein warnendes Beispiel.
Im September droht Gerhard Schröder nun selbst, Opfer seiner auf Harmonie bedachten Politik zu werden. Da Politiker bei einer Wahl primär an ihren Ergebnissen und nur sekundär an ihrer Arbeitsweise gemessen werden, liefert er seinem Herausforderer eine Steilvorlage, um ins Kanzleramt einzuziehen.
RASMUS PH. HELT, Hamburg
Keine große Rede des großen Vorsitzenden, da les ich lieber „Schrödingers Katze“ von Robert Anton Wilson, denn das hat noch mehr mit Realität zu tun als dieses „Hohlgelabere“ von Gerechtigkeit und Wohlstand für alle. PETER GABLER, Bruchweiler
Seit Monaten wird Rot-Grün schlechtgeredet. Selbst der taz-Kommentar stimmt in den Chor der Diffamierer ein. Ob Parteien, Politiker, Politik, Staat oder Gesellschaft – alles wird in Frage gestellt. Die Union schlägt vor, alles zu privatisieren, denn bei den Privaten gibt es weniger Kontrollen, dann merkt man die Korruption nicht, bzw. erst wesentlich später, wenn alles rettungslos verloren und bankrott ist. Nur der Bankrotteur sitzt in der Südsee.
Es reicht, die Zusammenfassungen der Wahlprogramme in den Medien zu überfliegen, um zu erkennen: Schon lange gab’s keine so großen Unterschiede mehr. Die Richtungswahl entscheidet, ob wir uns den Konzernen unwiderruflich ausliefern, oder ob wir noch einen Rest Demokratie erhalten. Kohl hat uns den Weltwirtschaftsverbänden weitgehend ausgeliefert. Stoiber wird sein Werk vollenden.
Am Ende entscheiden die Wähler über unser Schicksal. Vielleicht wollen wir keine Demokratie mehr, vielleicht passt der Feudalismus besser zu den Deutschen. Hundt und Co. entscheiden über die Stimmung. Bis zur Wahl kann er die Mitglieder der Verbände hinhalten. Schröder wird vergebens auf den Aufschwung warten. Danach wird es aufwärts gehen – egal, wer gewählt wurde. Drei Jahre werden sie dann Ruhe geben. Erst dann werden wieder die geschmierten Spezies gepuscht.
MORITZ DARGE, Mülheim a.d. Ruhr
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