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Schildkröten in Einkaufs-Malls

Die neue Ausstellungsreihe „Produktionen“ beleuchtet in den Kunstwerken die vielfältigen Facetten des Urbanen

Raus aus dem Museum und mit dem Spaßmobil hinein ins städtische Gebrodel

Ein Einkaufswagen ist ein Einkaufswagen ist ein Einkaufswagen …, könnte man denken. Aber so einfach ist die Sache nicht. Tatsächlich rollen die kastenförmigen Drahtgestelle nicht nur in den Supermärkten und „Einkaufsparadiesen“ herum. Sie rotten auch am Bürgersteigrand vor sich hin, nachdem sie in New York Straßenhändlern als Verkaufsstand dienten, oder sie sind mobiler Wohncontainer derjenigen, die über keine festeren vier Wände verfügen. Der vielfachen Verwendbarkeit des Einkaufsrequisits spürt das Künstlerbüro SBA mit Fotos in seiner gegenwärtigen Präsentation in den Kunstwerken nach.

Art goes sociology. Die Untersuchung sozialer, urbaner Strukturen ist schon längst kein ausschließliches Terrain der Gesellschaftswissenschaften mehr. Die in den Kunstwerken gezeigten Arbeiten von SBA, dem Bureau d’Études und von Christoph Schäfer sind der Anfang der Ausstellungsreihe „Produktionen“.

Kuratiert von Anselm Franke, beleuchten verschiedene künstlerische Positionen das alltäglichen Erscheinungsbild globaler und urbaner ökonomischer Strukturen. Insgesamt zehn Künstler und Künstlergruppen erhalten Gelegenheit, ihre Sicht der Vernetzung sozialer und wirtschaftlicher Zusammenhänge zu präsentieren. „Wichtig ist mir die Lesbarkeit der Arbeiten“, schildert Franke sein kuratorisches Anliegen. Angelehnt an journalistische Darstellungsformen wollen die Kunstwerken nicht „l’Art pour l’Art“ produzieren, sondern über den häufig selbstreferenziellen Kunstkomplex hinausreichen.

Hierzu fungiert ein Ausstellungsraum als temporäres Kino. In dem wird nun die permanente Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse in schrillen Propagandatönen ausgemalt. „Revolution never stops“ ist der Titel des Film von Christof Schäfer. Zu sehen sind hübsch gekleidete Menschen, die in Einkaufs-Malls Schildkröten ausführen, oder Inlineskater, die einen Schuhputzer erst über den Haufen rennen und dann malträtieren. Gestoppt werden sie vom Wachpersonal der Mall. Das gibt ihnen zu verstehen, dass auch der proletarische Unterbau des Kapitalismus seinen Platz in der Warenwelt hat, zumindest solange er sich vorher eine Gewerbekarte besorgt.

Raus aus dem Museum und hinein das städtische Gebrodel will Schäfer mit seinem Spaßmobil. Auf dem bunt beschrifteten Auto, Marke Jaguar, thront ein Ghettoblaster. Einmal am Tag ertönt nun gut vernehmliche Kapitalismuskritik auf der Strecke vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz. Ob sich die Deutsche Bank und Daimler-Benz davon aber wirklich beeindrucken lassen, sei dahingestellt.

RICHARD RABENSAAT

Bis 7. Juli, Produktionen 1–3, Kunstwerke e.V., Auguststr. 69, Mitte

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