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Senator tatenlos

Nicht umsteuern, lautet die Devise von Schulsenator Klaus Böger (SPD) trotz der dramatisch schlechten Resultate beim Sprachtest „Bärenstark“. Damit setzt Böger seine bisherige Linie fort: viele Worte, kaum Taten

von SABINE AM ORDE und UWE RADA

Nun ist es raus. Nach den Ergebnissen der Sprachstandserhebung „Bärenstark“ werden in den Innenstadtbezirken 60 Prozent aller nichtdeutschen Erstklässler und immerhin 13 Prozent der deutschen dem Unterricht ohne intensive Sprachförderung nicht folgen können. Diese Kinder, sagte der Schulpsychologe und Testleiter Andreas Pochert, könnten einfache Kurzsätze nicht ohne Fehler formulieren. Ohne massive Unterstützung ist ein Scheitern in der Schule programmiert. Wie aber sähe eine Politikstandserhebung aus? Und wie würde bei einem solchen Test Bildungssenator Klaus Böger (SPD) abschneiden?

Die Aufgeregtheit und die Hilfslosigkeit, mit der in Berlin auf das Abschneiden der künftigen Erstklässler bei „Bärenstark“ und der Haupt-, Real- und Gesamtschüler wegen ihrer mangelnden Beteiligung bei der Pisa-Studie reagiert wurde, ließe eigentlich vermuten, dass man allzu lange den Kopf in den Sand gesteckt hat. Tatsächlich aber gibt es in der Stadt spätestens seit dem Abrutschen der Westberliner Innenstadtbezirke zu „sozialen Brennpunkten“ eine engagierte Diskussion um bildungspolitische Alternativen zum „Weiter so“. Nur der Bildungssenator mag sich daran nicht so recht beteiligen, und noch weniger denkt er daran, Konsequenzen zu ziehen. „Ich werde das Ruder jetzt nicht herumreißen.“ Diese Reaktion Bögers auf die Ergebnisse der Sprachstandsmessung ist symptomatisch für die Politik des „Senators tatenlos“.

Die Böger’sche Tatenlosigkeit steht ganz im Gegensatz zum eigenen Wortreichtum. Zu einem der „Schwerpunkte des Senats“ wollte der SPD-Rechte die Bildungspolitik der neuen rot-roten Koalition machen – nur um hinterher Einsparungen bei den Kindertagesstätten und die verhinderte Kürzung von Lehrerstellen als Einstieg in eine solche Politik zu feiern.

Als „Durchbruch“ in der bildungspolitischen Debatte bezeichnete Böger die zahlreichen Diskussionen nach Bekanntwerden des deutschen Abschneidens in der internationalen Pisa-Studie. Als kurz darauf herauskam, dass die Berliner Haupt-, Real- und Gesamtschüler nicht einmal die Teilnahmequote für den bundesweiten Pisa-Vergleich erreichten, verzettelte sich Böger in einem Nervenkrieg mit der OECD um eine Berliner Nacherhebung. Diese sagte Böger ab, nachdem die internationale Organisation Zweifel an der Aussagekraft einer solchen Nacherhebung anmeldete. Als die OECD vorgestern nun doch grünes Licht gab, schaltete Böger auf stur. „Ich bin tief verärgert. Die OECD hat uns hereingelegt.“

Weniger verärgert als vielmehr ideenreich haben dagegen andere auf die Pisa-Ergebnisse reagiert. In Brandenburg hat man sich seit Pisa ausführlich mit der Schulpolitik Finnlands – eines der Pisa-Gewinnerländer – beschäftigt. Seitdem wird in Potsdam über die Einführung einer neunjährigen Grundschulzeit nachgedacht, um vor allem das frühzeitige Entstehen von Bildungsverlierern zu verhindern. Eine „Chance, die verkrustete Bildungsdebatte in Deutschland aufzubrechen“, nennt das die bildungspolitische Sprecherin der brandenburgischen SPD, Ingrid Siebke. Bögers Reaktion auf Pisa: „Wir brauchen keine Strukturdebatte.“

Es ist diese kategorische Weigerung, tief greifende Alternativen ernsthaft zu erwägen, die Berlin unter Klaus Böger zu einem pädagogischen Schwellenland werden lässt. Unabängig davon, ob in Potsdam nun die neunjährige Grundschule eingeführt oder auch in anderen Bundesländern an der vierjährigen Grundschulzeit festgehalten wird, ist es gerade die Vielzahl der Diskussionen unter Lehrern, Schülern, Eltern und Bildungsexperten, die die von Siebke beklagte „Verkrustung“ tatsächlich aufbricht. Klaus Böger dagegen steht für das Gegenteil.

Der zweisprachige Unterricht etwa, von vielen Sprachwissenschaftlern, aber auch Pädagogen als hilfreiche Alternative für Migrantenkinder betrachtet, taugt für Böger allenfalls zum Modellprojekt. Bei der dringend notwendigen Reform der Erzieherinnenausbildung verweist Böger stets auf einen Modellversuch, den Berlin einrichten will. Die notwendige Zustimmung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung allerdings konnte er bislang nicht gewinnen.

Auch beim leidigen Thema Religionsunterricht tut sich unter seiner Führung nichts. Und statt endlich die Möglichkeit für weltlichen Islamkundeunterricht zu schaffen, überlässt der Bildungssenator das Feld der Islamischen Föderation, die der islamistischen Gemeinschaft Milli Görüs nahe steht.

Eine Politik freilich, die jede Alternative von vorneherein als pädagogisch fragwürdig oder finanziell nicht machbar abtut, ist keine Politik mehr, sondern deren Ende. Das gilt im Übrigen nicht alleine für den Bildungssenator, sondern für die gesamte Koalition. Ein Machtwort des Regierenden Bürgermeisters oder eine Kritik des Koalitionspartners PDS hat dieser Senat jedenfalls noch nicht vernommen. Keine guten Zeiten also für die „Priorität“ Bildungspolitik.

Dass ein „Ruderherumreißen“ dringender denn je ist, darauf hat vor kurzem sogar Bundespräsident Johannes Rau hingewiesen. Und er hat daran erinnert, dass Bildungspolitik nicht ohne finanziellen Mehraufwand zur Priorität werden kann. Mit anderen Worten: Politik und Gesellschaft müssen sich darüber verständigen, was ihnen der Kampf gegen eine wachsende Klasse von Bildungsverlierern wert ist. Oder aber sich eingestehen, dass eine zunehmend ausdifferenzierte Wirtschaft und Gesellschaft ruhig auch mit einem Bodensatz an Verlierern leben kann.

Eine solche Debatte kann natürlich kein Bildungssenator alleine anstoßen. Er kann sie aber befördern anstatt sie zu verhindern. Mit dem „Bildungssenator tatenlos“ jedenfalls schneiden nicht nur die Berliner Schüler im bundesweiten Vergleich schlecht ab, sondern auch die Berliner Bildungspolitik mit der Kopfnote „Beteiligung mangelhaft“.

reportage und interview SEITE 23

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