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Lernt den schönen Krieg!

Kriegsspielernaturen, aufgepasst! Das Quartettspiel „Al-Qatäter“ zeigt euch,wie es geht, und kommt ohne Schwarzen Peter aus

Ja, denkt denn keiner an die Kinder? Wie, so fragten sich besorgte Eltern und Psychologen nach Demelftenseptember, sollen die kleinen Racker die schrecklichen Bilder von kollabierenden Riesentürmen wegstecken? Wie sollen sie mit der sich häufenden Tatsache zerplatzender Palästinenser „umgehen“? Wie sollen sie lernen, nicht über die immer kürzer werdenden Beine und die immer länger werdende Nase von Rudolf „Pinocchio“ Scharping zu lachen? Etwa durch einen kindgerechten, spielerischen Umgang mit den Geschehnissen? Genau.

Nicht von Pädagogen, sondern von der Stuttgarter Künstlergruppe „schön ’n’ krieg“ kommt ein leicht verständliches und verblüffend schön gestaltetes Lehrmittel, das Traumata überwinden und das Böse dieser Welt bezwingen hilft: „Al-Qatäter, das erste Spiel zum ersten Krieg des 21. Jahrhunderts“, heißt es und kommt nicht als Brett-, Liebes- oder Computerspiel daher, sondern in schulhoftauglicher Quartettform. Kennt jeder, kann jeder: Ferrari GTO sticht Golf GTI, und dann kräftig Karten sammeln.

Ziel von „Al-Qatäter“ aber ist es, Quartette mit Titeln wie „Moderne Waffensysteme“ (Milzbrand-Postwurfsendung, fliegender Teppich), „Weltweite Terrornetzwerke“ (Asta der TU Hamburg-Harburg, Internationaler Währungsfonds IWF) oder „Schurken und Staaten“ (Dritte Welt, Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel) zu sammeln.

Ganz nebenbei können sich die neugierigen Spieler jenes Weltbild aneignen, das sich im gerechten Kampf für das Gute als unabdinglich erwiesen hat. Ohne Argumente gegen die Dritte Welt kommt man da schnell mal in die Bredouille: „Rohstoffe horten, Amüsiermädchen beschneiden und dann Schulden haben – klar, dass den USA der Kragen platzt.“ Klar, dass „Al-Qatäter“ schon in die Planspiele des Pentagons einbezogen wurde. Beziehungsweise dringend einbezogen werden sollte.

Darüber hinaus gibt’s Wissenswertes über nahöstliche Knallerbsen, das man in keiner Schule lernt: „Der autonom operierende Selbstmordattentäter gilt in Palästina als die Autobombe des ganz kleinen Mannes.“ Israels Premier Ariel Scharon dagegen firmiert unter „Gerechte Krieger“ und wird ebenfalls treffend charakterisiert: „Der Hardliner mit den trendy Tränensäcken ist kein Freund langer Verhandlungen.“ Als gerechte Krieger lernen die Nachwuchskriegsspieler aber auch Joseph Fischer („Niemand kann sich besser in die Gedanken der Al-Qaida-Strategen versetzen als der wendige Exterrorist.“) oder Georg W. Bush („Neben Klonschaf Dolly ist George W. Bush das bislang folgenschwerste Resultat der Genforschung.“) zielsicher kennen und schätzen. Unter „Künftige Angriffsziele“ wird die Klagemauer durchaus differenziert betrachtet: „Wegen ihrer multireligiösen Bauweise kommt die Klagemauer nur für Präzisionsattentäter in Frage.“ Und der Schwachpunkt Brandenburger Tor („da die strengen Sicherheitsvorkehrungen am 09.11. 1989 aufgehoben wurden“) wird mit chirurgischer Präzision freigelegt. Das nötigt Achtung ab.

Unterschieden werden die einzelnen Karten nach „größter messbarer Ausdehnung“, „Reichweite“, „Dienstgipfelhöhe“, „Volkswirtschaftlicher Gesamtschaden“ und „PS (Politische Stabilität)“. Hier aber hapert’s. Euro und Otto Schily sind beides „künftige Angriffsziele“. Doch die „Dienstgipfelhöhe“ des Euro ist mit „Dollarkurs“ angegeben, Schilys Dienstgipfelhöhe mit „Stammtisch“. Wer sticht nun wen? Und der Schwarze Peter fehlt auch. Beziehungsweise wird er nur durch „Blitzschlumpf“ Rudolf Scharping ersetzt. So überzeugend das Konzept auch sein mag – spielbar ist dieses Quartett nicht. Seit dem 11. September aber ist für solche geschmäcklerischen Mäkeleien kein Platz. ARNO FRANK/MICHAEL RUDOLF

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