: Schluss mit Lustwandeln in der Nacht
Das Ende des Leihverkehrs: Kunsthallen als Auslaufmodell. Dem Haus der Kunst in München fehlt nicht nur ein Leiter, sondern auch ein Konzept
von IRA MAZZONI
Derzeit werden im bayerischen Kultusministerium fleißig Personalgespräche geführt. Noch vor der Sommerpause möchte Staatsminister Hans Zehetmair einen Nachfolger für den brüsk abservierten Christoph Vitali präsentieren. Gleichzeitig ist die Position des stellvertretenden Ausstellungsleiters im Haus der Kunst neu zu besetzen. Denn Hubertus Gaßner hat sich Mitte Mai gegen das peinlich verspätete Angebot entschieden, das Haus zu übernehmen. Er zieht es vor, ein Museum mit legendärer Sammlung und internationalem Ausstellungsrenommee zukunftsfähig zu machen: das Folkwang-Museum in Essen.
Mit einer Absage Gaßners hat im Ministerium wohl niemand gerechnet. Mit bayerischem Selbstbewusstsein ging man davon aus, dass der Kunsthistoriker die Position nicht ausschlagen könne. Er konnte – und das mit gutem Grund. Denn die vordergründige Personaldebatte ist nur ein Indiz dafür, dass Deutschlands größte Ausstellungsmaschine einen systemimmanenten Getriebeschaden hat. Das Modell Kunsthalle scheint ein Auslaufmodell zu werden. Nur will das die Staatsregierung noch nicht wahrhaben. Noch glaubt sie, mit jüngerem Personal neue Publikums- und Kassenerfolge erreichen zu können.
Doch das eigentliche Problem besteht darin, mit kleinem Etat und kleinem Team 5.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zu bespielen. Über 100 Ausstellungen hat das Vitali-Team seit 1994 auf die Beine gestellt. Begonnen hatte alles mit dem programmatischen „Elan vitale – oder das Auge des Eros“. Seitdem stand das Haus nie leer. Bis zu drei Ausstellungen wurden gleichzeitig geboten. Das Haus kannte keinen Feiertag und fast keinen Feierabend. Bis 22 Uhr durfte das Publikum vor den Bildern lustwandeln. Die Kunstnächte mit Theater, Tanz, Literatur und Musik zu den jeweiligen Finissagen sind inzwischen Kult. Zum Schluss blieb die traurige Erkenntnis: „Es ist eine gewisse Übersättigung eingetreten – vielleicht haben wir das Publikum überfüttert.“
Das Geschäft, das Haus zu füllen, ist, so räumt Gaßner ein, in den letzten Jahren schwieriger geworden. Denn das Ausstellungsgeschäft lebt vom Geben und Nehmen. Eine Ausstellungshalle ohne eigene Sammlung hat nichts zu geben – allenfalls Restaurierungsleistungen. „Wenn Sie alle Sammlungen und Museen einmal abgeklappert haben, dann heißt es beim nächsten Mal: ‚Ihr hattet schon.‘ Als Leihnehmer“, erzählt Gaßner aus seiner Erfahrung, „hat man immer das Gefühl, man müsse den Eigentümern das Kissen aus dem Bett wegziehen.“ Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob jüngere Kuratoren überhaupt in die intimen Schlafgemächer der Kunst vorzudringen vermögen. Ob sie über weit reichende Kontakte, die nötige Erfahrung und freundschaftlich beharrliche Überredungsgabe verfügen. Und selbst dann: „Die erste Riege niederländischer Meister bekommt die Kunsthalle nicht.“ Und auch bei der Kunst des 20. Jahrhunderts gibt es Blockaden. „Schon bei Pop und Minimal Art wird es schwierig.“
Bilder der klassischen Moderne scheinen fast unerreichbar. Inzwischen sind sich die meisten Museen und Sammler der Transportrisiken bewusst und wägen sorgfältig ab, ob es sich wissenschaftlich oder auch pekuniär lohnt, die Schätze für ein bestimmtes Projekt auf Reisen zu schicken. Viele Leihgeber wollen nicht, dass ihre Stücke über längere Zeit von Haus zu Haus und von Kontinent zu Kontinent weitergereicht werden. Das bedeutet, dass es sich für Kunsthallen nicht mehr rechnen kann, große Themenausstellungen zu konzipieren und voluminöse Kataloge zu drucken. Andererseits schwinden auch die Möglichkeiten, Sonderschauen von anderen Institutionen zu übernehmen.
Was tun? Nur noch zeitgenössische Künstler einladen, mit großen Leinwänden und Objekten die Hallen zu füllen? Nur noch die Galeristen mit tollen, wertsteigernden Katalogen becircen? Gewinnt man damit das verwöhnte Publikum zurück? Wohl kaum. Eine Mischung aus politisch geförderten, kulturhistorischen und archäologischen Prunkschauen und aktueller Kunst – das wäre eventuell ein Erfolg versprechender Mix. Doch vor zu hohen Erwartungen sei gewarnt: Die Besucherzahlen in musealen Einrichtungen gehen allgemein zurück. Das Haus der Kunst hatte in besseren Zeiten einmal über 500.000 Besucher pro Jahr und schafft es heute noch auf 350.000 Interessenten.
Man kann die Personalentscheidung mit Spannung erwarten, denn es wird auch eine programmatische Weichenstellung sein. Vielleicht gibt es in Zukunft gar ein Haus ohne Kunst? Die Vermietung von Räumen an kunstferne Nutzer hat in letzter Zeit bedenklich zugenommen. So fand jüngst eine Computermesse in dem von Vitali mit viel Idealismus geweihten Kunsttempel statt. „Es besteht die Gefahr, dass ein neuer Ausstellungsdirektor sich einem Immobilienmanagement gegenüber verantworten muss, dass er Sachen macht, die nichts einbringen“, gibt Gaßner zu bedenken. Solche Überlegungen dürften ihn in seiner Entscheidung, statt nach München an das Museum in Essen zu gehen, beeinflusst haben. Denn Status wie Finanzierung des als GmbH privatwirtschaftlich betriebenen Hauses der Kunst sind mehr als ungewiss. Vielleicht gehört die reine Kunsthalle der Vergangenheit an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen