: Prozess droht – Amt knickt ein
Bremen muss sparen, auch Sozialhilfe. Wie das gehen kann, offenbart ein Fall in Obervieland: Ein Antrag auf Sozialhilfe wird schlicht nicht bearbeitet. „Ein Skandal“, sagt die Solidarische Hilfe, „ein Einzelfall“, sagt der Sozialamtschef
Ein Mann beantragt Sozialhilfe. Kriegt er nicht, dafür soll er dem Sozialzentrum – der neue Name für das Sozialamt – nachweisen, dass er sich um Arbeit bemüht habe. Die Bestätigung, dass er sich beim Arbeitsamt gemeldet hat, reicht nicht. Sein Antrag wird nicht bearbeitet. Der Mann darf sehen, wo er bleibt. Ein Skandal, findet die Beratungsstelle Solidarische Hilfe .
„Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass jemand schnell in Arbeit gebracht wird“, sagt Margot Müller von der Solidarischen Hilfe, aber „so geht es nach dem Gesetz nicht“. Einen Antrag einfach nicht zu bearbeiten und das lediglich mündlich mitzuteilen, ansonsten keinerlei Hilfestellung zu geben, den Hilfesuchenden einfach abblitzen zu lassen, sei „klassischer Gesetzesbruch: Paragraf 5 im Bundessozialhilfegesetz legt den Beginn der Sozialhileleistung auf den Tag des Bekanntwerdens beim Amt fest“, formuliert die Beratungsstelle, und: „Sozialhilfe ist Soforthilfe“.
In diesem Fall keineswegs – den ersten erfolglosen Amtsgang tat der Mann Ende vergangenen Jahres, erst vier Monate später kam der erste Brief vom Amt: „Ihnen wurde vom Sachbearbeiter deutlich gemacht, dass die Gewährung von Sozialhilfe abhängig gemacht wird von Arbeitsbemühungen. Entsprechende Unterlagen haben Sie bisher nicht vorgelegt“, heißt es in dem Schreiben. Das möge er nachholen. Gezahlt wird immer noch nicht. Erst als die Solidarische Hilfe vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken und so das Amt zum Nachkommen seiner gesetzlichen Pflichten zwingen will – da plötzlich lenkt das Sozialamt ein und zahlt. Auch rückwirkend.
Wie der Mann inzwischen durchgekommen ist, weiß Margot Müller nicht. Darum geht es ihr auch nicht: Für sie geht es um den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, der hier schlicht ausgesessen worden sei.
Das Ganze geschah im Rahmen eines Modellversuchs in Obervieland. Im dortigen Sozialzentrum sollte eine „Eingangsberatung“ getestet werden, die die Hilfesuchenden erst zur Arbeitsaufnahme bewegen sollte. „Eingangsabwimmelung“, sagt dazu Margot Müller. Sie fürchtet, dass auch die neu eingerichteten Servicestellen in den Ämtern, die erste Anlaufstellen für alle Hilfesuchenden sein sollen, ähnlich arbeiten werden. „Es gibt gerade bei unserer Klientel viele Leute, die ihre Rechte nicht kennen und so überhaupt nicht bis zur Antragstellung durchdringen würden“, sagt Müller. Sie kann sich durchaus vorstellen, dass viele so behandelt wurden wie der Mann, der schließlich bei der Solidarischen Hilfe Rat suchte.
Jetzt war der Obervieländer Fall Thema der Sozialdeputation. Die Grüne Karoline Linnert verlangte nach Aufklärung. Das Amt für Soziale Dienste sah sich dazu gestern noch außer Stande. „Die Mitarbeiter leisten eine wichtige und gute Arbeit“, so das Statement von Amtsleiter Jürgen Hartwig, „ich gehe Einzelfällen immer nach, um festzustellen, ob Couching-Bedarf erforderlich ist.“ Auch um diesen Fall werde er sich kümmern.
Der Leiter des Obervieländer Sozialzentrums, Siegfried Essmann, betont, der Modellversuch sei beendet und die neuen Service-Stellen in den Sozialzentren hätten mit der hier getesteten „Eingangsberatung“ nichts zu tun. Susanne Gieffers
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