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Apokalypse never

Die Spuren amerikanischer Trucker und das gemächliche Pendeln zwischen den Kontinenten: Die Galerie Laura Mars zeigt Arbeiten der Hamburger HbK-Professorin und Künstlerin Susanne Weirich

von RICHARD RABENSAAT

Kryptisch versilbert schimmert der von Susanne Weirich angelegte Garten an der Wand der Galerie Laura Mars. Erst wenn Besucher die Schicht ablösbarer Silberfarbe heruntergerubbelt haben, wird sich das darunter liegende Geflecht aus pflanzlichen Formen und fiktiven Texten enthüllen und einen Pfad durch die Arbeit öffnen. Wie hier fordert die Künstlerin häufig die praktische und gedankliche Mitarbeit des Orientierung suchenden Rezipienten.

Einmal versammelte sie in Plastik-Sets verschiedene Fundstücke. Aus einer Badekappe, drei Muscheln, einem Federball, einem Plastikförmchen und einem Kondom der Marke Ritex mit Bananenaroma wurde ein „Sentimental-Summerday-Set“ aus der Werkgruppe „Erinnerungsarbeit“. Es entspinnt sich unwillkürlich die Geschichte eines sonnendurchtränkten Tages am Strand, auch wenn die Anordnung reichlich clean wirkt.

„So steril und ordentlich, wie die Dinge in den Sets eingepackt sind, das ist typisch für Amerika“, behauptet Weirich, die 1995/96 am Pasadena Art Center in Kalifornien unterrichtete. Ob sie etwas aus ihrem Leben mitteilt oder ob es sich lediglich um eine artistische Versuchsanordnung handelt, darüber schweigt die Künstlerin. Der prosaisch verwobene Rhythmus aus angedeuteter Realität und konzeptueller Serienfertigung gibt den Sets eine heitere Leichtigkeit. Diese Unbeschwertheit findet sich in vielen Arbeiten Weirichs.

Die 1962 in Unna geborene heutige Professorin an der Hochschule für bildenden Künste in Hamburg beendete ihr Studium 1990 als Meisterschülerin von Timm Ulrichs an der Kunstakademie Münster. Nachdem sie von 1991 bis 1995 einen Lehrauftrag an der TU Berlin innehatte, gelang es ihr, ein Stipendium des Berliner Senats für die USA zu ergattern. „Etliche Male musste ich mich bewerben, bis es endlich klappte“, erinnert sie sich. Der Amerikaaufenthalt prägt ihre Arbeiten noch heute.

Bei Laura Mars zeigt sie auch Fundstücke vergangener Lebensmomente. Die Installation „Tom’s furs and feathers“ versammelt allerlei „Roadkill“ eines amerikanischen Truckers. Der nagelte die plattgefahrenen Tiere in seiner Garage an die Wand und kommentierte sie lapidar mit kurzen Sprüchen. Nachdem die Künstlerin den Raum angemietet hatte, sah sie die Schemen der konservierten Kadaver an der Wand. Mit Grafitpuder, wie es auch Kriminalisten bei der Spurensicherung benutzen, machte sie die Silhouetten wieder sichtbar. So treffen nun an der rekonstruierten Bretterwand eine „Schildkröte beim Schwimmversuch“, eine „Rock-’n’-rollende Maus“ und vielerlei anderes Getier aufeinander.

„Als ich die Sprüche entdeckte, interessierte mich die Welt der Trucker. Da habe ich im Internet erst einmal recherchiert, wie die sich so unterhalten.“ So floss die fremde Welt der Highwaykapitäne als Hintergrund in die Arbeit ein. Häufig entsteht aus der Spiegelung fremder Lebenswelten durch die Interpretation Weirichs in ihren Arbeiten ein neues, poetisches Amalgam. „Ich habe die Apokalypse verpasst“, behauptete sie im Titel einer Präsentation aus dem Jahre 1993. Zu sehen war auf zehn halbkreisförmig angeordneten Videobildschirmen das ebenmäßige Gesicht der Künstlerin. Sie posierte vor den Arbeitsstätten von zehn ihr unbekannten Personen. Denen nannte sie jeweils einen Begriff, der mit einem Buchstaben des Wortes Apokalypse begann. Sie bat die jeweils in anderen Berufen tätigen Fremden, ihr dann die Assoziationen zu dem Wort zu erzählen. „Dabei verrieten sie mehr über ihr Leben, als wenn sie mir ihre Biografie ausgebreitet hätten“, meint die Künstlerin. Beim Substantiv „Loch“ denkt die Architektin an gestanztes Transparenzpapier, die Frauenärztin an die Vagina und der Buchhändler rattert wie auf Bestellung ein ganzes Kompendium an so genannter Lochliteratur herunter.

Das Pendeln zwischen den Kontinenten, die Vielzahl der unterschiedlichen Arbeitsbezüge haben die stets neugierig forschende Künstlerin geprägt. Eine Vielzahl von Materialien verwendet sie in ihren Arbeiten. Die reichen vom Videoclip bis zum Filmdialoge brabbelnden Handtuchspendern. Die Hygienegeräte zweckentfremdet sie gerade als „Trostspender“ im still gelegten Schwimmbad in der Oderberger Straße. „Als ich einmal mehrere Arbeiten in einer Galerie hängen hatte, meinten die Besucher, die kämen alle von verschiedenen Personen“, behauptet Weirich.

Bis 14. 6., Montag bis Freitag, 12–18 Uhr, Galerie Laura Mars, Sorauer Str. 3, Kreuzberg

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