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Der Lange Marsch

Feuer und Flamme für Bildung: Zehntausende haben ihren Protest auf den Rathausmarkt getragen. Lange wähnt „Besitzstandsdenken“

Von SANDRA WILSDORF

„Herr Lange, sind Sie eine falsche Schlange?“ „Rudolf, hoffentlich machst Du‘s nicht mehr so lange?“ „Manche Lügen haben Lange Beine“ „Herr Lange, Sie haben lange genug gespart“ „Lange macht Bange“ oder „Lieber Flamme und Feuer als Lange am Steuer“: Zehntausende demonstrierten gestern auf dem Rathausmarkt gegen die Sparpolitik des Senats, Schüler, Studierende, Eltern und Lehrer – Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ebenso wie der Deutsche Lehrerverband Hamburg. Die Veranstalter haben 70.000 gezählt, die Polizei 30.000.

Die Demonstranten hatten neben ihrer Wut auch ihre Phantasie mitgebracht: Die GEW-Betriebsgruppe G 12 hatte sich beispielsweise Matrosenmützen mit „BBS Zerstörer Lange“ gebastelt und sang zu Freddy Quinns „Junge komm‘ bald wieder“ das glatte Gegenteil: „Lange, geh‘ bald wieder, bald wieder nach Haus. Lange, komm‘ nie wieder, nie wieder heraus“. Doch auch trotz eines „knock, knock, knocking an die Rathaustür“ blieb das schwere Tor verschlossen. Schulsenator Rudolf Lange (FDP) ließ über seinen Pressesprecher verlauten: „Ich habe Verständnis für diejenigen, die kritisch und konstruktiv auf die Herausforderungen der Hamburger Bildungspolitik reagieren. Kein Verständnis habe ich für diejenigen, die nur ihrem Besitzstandsdenken verhaftet sind und sich von einer inhaltlichen Debatte längst verabschiedet haben.“

Meint er damit Menschen wie die Eltern Rehlen, deren Tochter ihren Leistungskurs Deutsch demnächst mit 32 anderen teilt und denen es jetzt reicht. Oder junge Frauen, die berichten, wie die Kollegien sie brauchen, aber nicht haben dürfen? Oder die Lehrerinnen von der Grundschule Quellmoor? Denen macht seine Politik Angst. „Angst davor, nicht mehr machen zu können, was wir aufgebaut haben.“ Und das ist eine Integrationsschule in einem sozialen Brennpunkt, in der es bisher keine Noten gab. Die Lehrerinnen fürchten sich nicht vor mehr Arbeit, „die machen wir sowieso, es geht darum, dass die Stunden auf dem Papier dazu führen, dass der Schule Stellen abgezogen werden“.

Und das wiederum merken die Schüler. Elsa, Marcel und Didem von der Max-Brauer-Gesamtschule beispielsweise finden es „absolut traurig, dass jetzt Lehrer weggehen, die wir total gerne haben“. Oder Jenny und Nina vom Gymnasium am Kaiser-Friedrich-Ufer kritisieren, „dass unsere Referendare nicht bei uns bleiben“, und dass „wir demnächst kein Schwimmen, kein Rudern und kein Werken mehr haben“.

Aber Lange war nicht da, und so verhallte auch der Wunsch von Hamburgs ver.di-Vorsitzendem Wolfgang Rose: „Wir brauchen an der Spitze der Bildungsbehörde dringend wieder jemanden, der lesen, schreiben und der vor allem zuhören kann.“

Nach der Demo kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 15-jährigen, offenbar angetrunkenen Schüler und der Polizei, in deren Verlauf ein Polizist einen Tritt zwischen die Beine, ein anderer einen Biss in den Arm kassierten, und der Schüler Schläge mit einem Schlagstock und Tritte – so berichten es Augenzeugen. Die Polizei nahm den Jugendlichen mit, ließ ihn aber kurz danach frei.

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