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Emotionalclown außer Atem

„Das ist kein Blödsinn. Das ist die Dokumentation der Wahrheit“: Das Junge Theater macht aus Fassbinders „Satansbraten“ eine kurzweilige Selbstbespiegelungs-Orgie

Auf der Musikbox liegen die Fachzeitschriften „Theater heute“ und „Gala“, daneben ein aufblasbares Planschbecken, das die Wohnung der Hure symbolisiert. Es gibt Seifenblasen, Indianerschmuck und eine Wandtapete mit New York bei Nacht. Ausstatter Denis Fischer mag Kitsch, und er mag die 50er Jahre. Vor allem mag er Requisiten, die billig sind und Trash und insofern cool: ein Aufnahmegerät mit Mikro in knalligem Gelb für Kinder ab drei. Statt einer Tür ein Vorhang aus Perlenschnüren. Fischer hat einiges aufgetan in dieser Richtung. „Satansbraten“ ist Ausstattungstheater, ein Fest für Liebhaber des schrägen Interieurs.

Schräg ist auch der „Satansbraten“-Plot: Der Schriftsteller Walter Kranz (Frank Meyer) leidet erstens unter Schreibhemmung und bringt zweitens seine masochistische Geliebte um. Den Mord versucht er seinem debilen Bruder (Denis Fischer) anzuhängen, und seiner Frau teilt er mit: „Ich habe beschlossen, mein Leben zu verändern.“ Fortan hält er sich für Stefan George und lässt sich die neue Identität von bezahlten Fans bestätigen. Das Geld dafür presst er seinen Eltern und einer Hure ab. Seine Frau (Stefanie Frauwallner) wird ins Krankenhaus gebracht, und zwischen dem durchweg überzeichneten Bühnenpersonal scharwenzelt ein „Kommissar Lauf“ im Trenchcoat herum, bestens besetzt mit Oscar Dumon.

„Satansbraten“ im Jungen Theater ist eine Adaption des gleichnamigen Rainer-Werner-Fassbinder-Films von 1976, ist wie der Film eine verschwenderische Groteske, eine Parabel, die das Verhältnis von Narzissmus, Erfolg und Privatleben in grelles Licht setzt. Dabei sind Film und Theaterabend mehr Gefühlsausbruch als berechnetes Produkt, freuen sich an infantiler Komik und an der Irritation, die zumindest zu Fassbinders Zeiten auch noch Provokation war.

Im Jungen Theater ist Dichter Kranz eine Lachnummer, ein Emotionalclown, dem die Regisseure Anke Thiessen und Carsten Werner gerne auch schon vor der Pointe die Luft abdrehen. „Das ist kein Blödsinn. Das ist die Dokumentation der Wahrheit“, sagt Kranz dann, und Schauspieler Frank Meyer gelingt dieses Leben neben der Spur, das Spiel mit einer Existenz, die bis in die Haarwurzel darauf begründet ist, nur Behauptung zu sein – und dabei Kranz bzw. Meyer über den Kopf wächst.

„Satansbraten“ im Jungen Theater ist Comedy, eine fette, skurrile Welt, die ganz um sich selbst kreist. Als konsequent durchgeführte, einigermaßen anachronistische Groteske leidet der Abend an Unverbindlichkeit. Gleichzeitig bietet er als virtuos gestaltete, reiche Selbstbespiegelungs-Orgie einigen Unterhaltungswert.

Klaus Irler

Im Jungen Theater, 12. bis 16. Juni und 19. bis 23. Juni, jeweils 20.30 Uhr

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