piwik no script img

Zurück im Sommer

Die Vielfalt als Programm: Im Tränenpalast beginnt heute mit dem Auftritt des Gotan Project das einen Monat dauernde Musikfestival „BlueNites – Colours of Sounds“

Eine Möwe sitzt auf der Begrenzung zum Wasser. Sie lässt sich nicht stören von dem Pärchen, das über die Absperrung geklettert ist und jetzt auf den Uferstufen sitzt, den Blick auf dem Glitzern der Wellenbewegung. Grillgeruch weht herüber, ein paar Akkorde hängen in der Luft. Eine sanfte Trägheit liegt auf diesem Sommerabend.

Abseits der großen Open-Air-Festivals füllt der Tränenpalast seinen mit Kronleuchtern und Samt verhangenen Innenraum im Juni mit einer Reihe von Clubkonzerten. Closed-Air, aber mit Biergarten unterm Sternenhimmel in der Pause. Von einer Leinwand ist die Rede, auf der die Musik samt Großaufnahmen nach draußen übertragen werden soll. Konzertkino mit Stadtkulisse.

Seit zwei Jahren versucht Geschäftsführer Markus Herold jetzt, im Tränenpalast ein Sommerfestival mit Jazz-Schwerpunkt zu etablieren. Erst in Konkurrenz, jetzt als Nachfolger der „Jazz in July“-Konzerte im Quasimodo. Nicht ganz einfach, denn für Jazzkonzerte in kleinen Besetzungen ist der Veranstaltungsort mit 600 bis 900 Plätzen zu groß. Um Jazz auf einer größeren Bühne dennoch möglich zu machen, wurden Fördergelder vom Hauptstadtkulturfonds beantragt. Dieser wiederum finanziert bestimmte Projekte nur einmal, weshalb der Name des Festivals leicht verändert wurde. Statt „BlueNites“, nennen sich die Sommerkonzerte jetzt „BlueNites – Colours of Sounds“.

Was im ersten Moment wie eine unzusammenhängende Anhäufung von Namen und Stilrichtungen erscheint, ist Programm. Eine Annäherung an die Musikbeschaffenheiten diverser, sonst in sich abgeschotteter Welten. Sorgfältig gewählte Ausschnitte auch im Hinblick auf „unterschiedliche Publikumsstrukturen“ (Herold). So treten etwa die chinesischen Obertonsänger Egschiglen auf, und mit Eliades Ochoa oder Los Mocosos wird auch die Latinoszene der Stadt bedient. Die halbstündige Vorgruppe jeweils einer Berliner Band wird mit von der Senatskulturverwaltung finanziert. Dabei gilt der Senatsgrundsatz: Berliner ist, wer hier Steuern zahlt. Neben den Garanten für eine dicht gepresste Clubatmosphäre, wie Miriam Makeba oder Los Van Van, hat sich der Tränenpalast auch auf Risiken eingelassen und einige ausgesuchte Konzerte mit Seltenheitswert im Programm.

Vor allem die Gruppe Oregon um den Gitarristen Ralph Towner, Saxofonist Charles Lloyd, Trompeter Tomasz Stanko und die britische Sängerin Sarah-Jane Morris. Sie gibt im Tränenpalast ihr erstes und einziges Deutschlandkonzert und stellt ihre in Novembergrau gehaltene neue Platte „August“ mit bekannten Coverstücken vor, die sie gemeinsam mit dem ehemaligen Lounge-Lizards- und Tom-Waits-Gitarristen Marc Ribot eingespielt hat. Ihre dunkle, raue Stimme erinnert entfernt an Janis Joplin.

Zum 10. Jubiläum des New Yorker Clubs und Labels Knitting Factory, die ursprünglich in einer ehemaligen Fabrik in der Houston Street angefangen hatten und von da an die Downtown-Szene um den „Radikal Jewish Movement“-Gründer John Zorn repräsentierten, kommen drei Bands, darunter der schwarze Avant-Saxofonist Charles Gayle. Dass diese Musiker auch in Berlin zu hören sind, ist das große Verdienst dieses Festivals. Vor allem da im Haus der Kulturen der Welt seit der Streichung von „Jazz Across The Border“ der Jazz ganz aus dem Programm gefallen ist und auch beim Museumsinsel-Festival mit Ausnahme Cassandra Wilsons der Jazz draußen bleibt. MAXI SICKERT

„BlueNites – Colours of Sounds“, www.bluenites.de, vom 11. 6. bis 13. 7., Tränenpalast, Reichstagsufer 17; heute ab 20 Uhr Gotan Project: „La Revancha Del Tango“ und Neoangin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen