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Wolkenbruch in der Nische

Wenn es in Dokumentationen „zu oft regnet“, wird eben neu geschnitten: Bei der Tagung „Der junge Autorenfilm – zwischen Ausbildung und Markt“ kollidieren wieder einmal zwei unversöhnliche Welten – die künstlerische und die kommerzielle

von GITTA DÜPERTHAL

Rebellische Worte gegen den Quotenwahn in den Sendern sprach Saskia Walker, Studentin der Kunsthochschule für Medien in Köln, und erntete begeisterten Applaus ihrer Kommilitonen: „Wird eigentlich bei der Quote miteinkalkuliert, dass der Fernsehzuschauer eventuell im Nebenraum telefoniert, während der Fernseher läuft?“, fragte die junge Filmautorin und redete Tacheles: Das Fernsehen sei keine Institution, die vom Himmel gefallen und nicht mehr veränderbar sei.

„Klüngelstrukturen“ herrschten, in denen sich nichts mehr bewege. Von jungen fortschrittlichen Dokumentarfilmern, die in ihrer Ausbildung kunstvolle Filme zu kreieren lernten, würden Formate verlangt, die unter ihrem Niveau seien. Beim Symposium „Der junge Dokumentarfilm – zwischen Ausbildung und Markt“, das vom 6. bis 8. Juni im Kölner Filmhaus stattfand, veranstaltet von der Dokumentarfilminitiative Mülheim/Ruhr und dem Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart, protestierte der Nachwuchs energisch gegen verstaubtes Traditionsfernsehen in öffentlich-rechtlichen Sendern. Populistisch folge man kommerziell geprägten Trends, statt den Kultur- und Informationsauftrag wahrzunehmen.

Bei der Podiumsdiskussion der Sendeverantwortlichen herrschte hingegen ein resignativer Tenor vor. Der gute alte Autorenfilm wurde für mausetot erklärt, bestenfalls noch als elitäres Nischenprogramm tauglich. Stattdessen war die Rede von der „Marktfähigkeit von Autoren“, der Notwendigkeit, sich wirtschaftlichen Zusammenhängen zu beugen. Der althergebrachte Begriff der Einschaltquote im Sinne von Zuschauerdemokratie wurde beschworen. Junge Autoren seien gefordert, mit Produzenten zu arbeiten, um den neuen Anforderungen zu entsprechen. Freilich könne man sich gegen den Trend serieller und formatierter – und somit einschränkender – Formen des Dokumentarfilms wehren, aber kommen werde er doch, so begegnete Peter Latzel (Abteilungsleiter Kultur und Gesellschaft SWR) der Palastrevolte der jungen Dokumentarfilmer. Solch ernüchternde Argumente quittierten die jungen Filmautorinnen und -autoren mit unwilligem Gemurmel. Und doch war die desillusionierende Wirkung unübersehbar. Saßen doch auf dem Podium die Verantwortlichen der besagten Nischenprogramme: Claudia Tronnier (stellvertretende Redaktionsleiterin, Das kleine Fernsehspiel, ZDF), Werner Dütsch, (Filmredaktion WDR), Thomas Kufus (Produzent Zerofilm Berlin), Michael Wiedemann (Geschäftsführer, Filmbüro Mülheim/Ruhr).

Zu viele Autoren

Ein Überangebot an Autoren gebe es. „Auf eine Zusage schreibe ich zehn Absagen“, so Dütsch. Doch die jungen Dokumentarfilmer ließen sich nicht einschüchtern.

Torsten Truscheit etwa schilderte aus eigener Erfahrung – am Beispiel der von ihm bearbeiteten 12-teiligen ZDF-Doku-Serie „Junge Herzen“ – plausibel, welch fatale Folgen das Arbeiten in seriellen Formaten und unter Quotendruck zeitigen kann. Von der ZDF-Redaktion sei ein Marktforschungsinstitut eingeschaltet worden, das 40 junge Leute einige Folgen seiner Segeltörn-Serie probeschauen ließ, berichtete Truscheit. Die Testpersonen seien nach spezifischen Kriterien ausgewählt: Konsumenten von Jugendserien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

Das Resultat sei entsprechend niederschmetternd gewesen. Nicht mehr der Inhalt, „wonach das gedrehte dokumentarische Material förmlich schreit“, habe im Schneidestudio eine Rolle gespielt. Vielmehr sei die Dokumentationsreihe fiktiven Regeln eines Spielfilmformats unterworfen worden. Auf diese Weise sei eine weitgehend geglättete Fassung über die Reise der jungen Menschen entstanden, die der junge Autor sieben Monate auf dem Schiff begleitete. Moniert worden sei etwa, die Protagonisten des Films seien nicht hübsch genug – und es habe zu oft geregnet.

Die Marktforschung zur Absicherung der Quote habe weitere praktische Folgen gehabt. So habe er etwa eine Film-Sequenz herausschneiden müssen, in der eine junge Frau einem Reisenden begegnet und flirtet. Nach seinem Reiseziel befragt, habe dieser von Auschwitz berichtet. Abrupt sei daraufhin der Flirt beendet, die Gesichtszüge der Frau seien wie erstarrt gewesen. Auschwitz muss offenbar für das Zielpublikum nicht als attraktives Thema gegolten haben. Thomas Schadt, Leiter der Filmakademie Baden-Württemberg, spitzte zu: Redakteure gingen unter den neuen Bedingungen seriellen Produzierens vermehrt dazu über, junge Autoren brechen zu wollen, ihren Charakter zu verbiegen.

Während des Symposiums wurden indes Filme junger Dokumentarfilmer vorgestellt, die mit ihren Werken und ihrer gesellschaftskritischen Haltung das vom Fernsehen geprägte Bild einer angepassten Jugend im Spaß- und Kommerztaumel sichtbar widerlegen.

Keine Götter in Weiß

Da ist etwa Christiane Büchners ambitionierter Dokumentarfilm „Das Haus der Regierung“, der das Leben in einem Wohnkomplex in Moskau schildert, der Ende der Zwanzigerjahre für die Partei- und Staatselite gebaut wurde. Verfolgte und Täter der Stalin-Ära schildern im Film die Auswirkungen einer menschenentwürdigenden Diktatur. Oder Stefan Landorfs entlarvender Film „Aufnahme“ über Ärzte im Krankenhaus, der diese einmal nicht als Götter in Weiß zeigt. Sondern einen Berufsstand, der im monotonen Ablauf zwischen durchorganisierter Großküche, Bettendesinfektion und Abfallbeseitigung festgefahren zu sein scheint, in dem Patienten als Behandlungsgegenstände gedacht werden. Sensibel zeigt der Film, wie sie gegen die eigene Angst vor Krankheit und Tod ankämpfen.

Till Passows „Howrah, Howrah“ thematisiert, wie im Bahnhof Kalkuttas verschiedene Gesellschaftsschichten drastisch aufeinander prallen: Gutsituierte Reisende, freundlich Abschied nehmend von Angehörigen. Indes angeln zerlumpt gekleidete Jungs in einer Kloake zwischen den Gleisen Fische, um etwas zwischen die Zähne zu kriegen. Mitten im Gewimmel, zwischen all diesen Gegensätzen, wird anonym gestorben.

Nicht immer haben die Filme soziale oder politische Anliegen, doch meist steht lebensphilosophische Weisheit dahinter. Das beste Beispiel dafür ist Jan Bosses zärtlicher, verträumter Film „Himmelreich“ über Dauercamper. Im Kopf sei ihm und seinem Filmteam stets der Satz Thomas Manns gewesen: „Das was bleibt, ist die Achtung vor dem Geheimnis des Anderen.“ Und: Wenn Realität und Traum im Dokumentarischen zusammenlaufen, sei wieder Platz für die Hoffnung, über das Leben jenseits von Zynismus zu erzählen. Auf die junge Generation der Filmemacher zwischen 27 und 35 Jahren kann man sich freuen. Wenn ihre Freiräume nicht zuvor brachial zerstört werden.

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