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Dreieinhalbminüter

Choreographierte Garagentore, Ganoven im Plattenladen und ein Superheldentrio im Märchenschloss: Ein Abend mit Musikvideos des Hamburger LADO-Labels – heute im Zeise

von ALEXANDER DIEHL

Wer Musik macht, nicht zuletzt um sie in Form von Tonträgern an Interessierte zu verkaufen, hat spätestens seit Mitte der 80er Jahre den Videoclip in seine Überlegungen einbeziehen müssen. Neben seiner Bedeutung als Evolutionssprung der Promotion kam dem filmischen Dreieinhalbminüter auch in künstlerischer Hinsicht Innovationscharakter zu. Was Varieté-Wundermaschinen, der Kulturfilm oder das öffentlich-rechtliche Unterhaltungsprogramm an Musik begleitenden Bildern auch aufgefahren haben mögen, worauf immer man im (abendfüllenden) Konzertmitschnitt zurückblicken konnte: Unmittelbare Vorbilder fand kaum vor, wer in den Anfangstagen des Videoclips – und somit der flächendeckenden Nutzung der Technik „Video“ selbst – Singleauskopplungen zu bebildern hatte.

Nicht ganz bis an die Anfänge geht es zurück, wenn das hamburgische Labelkonglomerat LADO Musik (L‘Age d‘Or, Ladomat 2000) im Rahmen der Kurzfilmtage zu einem Abend mit Musikvideos der eigenen Vertragskünstler lädt. Aus zehn Jahren Labelgeschichte suchte man – nach nicht näher erläuterten Kriterien („Das war ganz schön schwierig. Es gibt ja auch so wahnsinnig viele.“) – 20 Clips aus, die moderiert und kommentiert werden vom Tomte-Sänger Thees Uhlmann. Klassiker sind darunter, altes Gold aus den frühen 90er Jahren, aber mit dem an tschechische TV-Kunstmärchen erinnernden „This Boy is Tocotronic“ auch die jüngste zwecks TV-Rotation erstellte Visualisierung des Hauses.

Den Anfang macht eine Perle so genannter Hamburger Schule mitsamt ihrem eigenen Humor zwischen Kunstgeschichte und gespieltem Witz: „Ohne Titel“ von Huah aus dem Jahr 1992 zeigt semiprominentes Personal mit abenteuerlichen Haartrachten, eigentliche Sieger sind aber die Passanten, die man dazu veranlasste, Zeilen aus dem Liedtext mitzusprechen. Die wunderbaren Arbeiten, die Sensorama wiederholt beim Regieduo Klöfkorn und Husain in Auftrag gaben, kommen dagegen ohne Menschen auf Abwegen aus: Hier sind es vielmehr die technischen Installationen einer chemischen Reinigung („Echtzeit“, 1995) oder spießige Garagentore („Starescalator“, 1998), die zur Musik passend choreographiert werden.

Narrative, gar selbstreflexive Clips kommen von Stella, in deren „Finger on the Trigger“ (2000) das Film-im-Film-Prinzip variiert wird, oder Die Sterne: ihre erste Major-Single „Was hat dich bloß so ruiniert“, bebildert mit vom rechten Wege abgekommenen Künstlern in den Mühlen einer durch Schlipse tragende Managertypen symbolisierten Industrie – ein klassisches Rock‘n‘Roll-Topic mit Cameo-Auftritten von allerlei Hamburger Biz-Größen.

Die gezeigten Arbeiten (u.a. für Tocotronic, Whirlpool Productions, Jonas oder Egoexpress) haben mit aktuellen technischen Standards und heutzutage weitverbreiteten Bildsprachen zumeist charmant wenig zu tun: In grobkörnigem Super-8 ließ der Hamburger Filmemacher Henrik Peschel die Herren von Superpunk einen Plattenladen überfallen, und die in Superheldenkostüme gewandeten Tocotronic treffen in nicht eben hollywoodreifem Animationambiente auf ihren Remixer Console, der als nerdiger Superbösewicht Papphäuser umwirft und Blondinenköpfe rollen lässt. Manche Clips wären inzwischen wohl regelrechte Fremdkörper im hochgetakteten, gleichwohl stereotypen Bilderschatz der Musikfernsehlandschaft – wo sie ohnehin zumeist nur in Spartensendungen und zu mittelprächtigen Sendezeiten zum Einsatz kamen.

heute, 22.30 Uhr, Zeise; Party mit Richard von der Schulenburg (Die Sterne) und Gerd-und-Klaus-DJ-Team (ascii.disko vs. Tigerbeat): ab 23 Uhr, Harkortstr. 125

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