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Ohren sehen

Zweimal inszeniert: Cocteaus „Die geliebte Stimme“ als Schauspiel und Musiktragödie im Theater N.N.

Es beginnt als Lesung. Auf dem Bühnenpodest stehen nur Tisch und Stuhl. Darstellerin Minni Oehl liest Jean Cocteaus Einakter Die geliebte Stimme aus dem Jahre 1930. Leichte Irritationen im Publikum treten auf, als auf dem Podium das Handy klingelt. Oehl entschuldigt sich kurz. Schnell wird klar, dass hier die Inszenierung den Text in die heutige Handy-Welt überführt.

Auf der Bühne gerät Oehl in den Sog des Telefonats, das Spiel beginnt. Mit sparsamen Mitteln entstehen vor dem inneren Auge des Publikums die Verästelungen einer Lebensgemeinschaft in Auflösung. Sie spricht mit dem Mann, der sie für eine andere verlassen hat. Es geht um die Briefe, die sie nachsenden soll. Um den Hund, der bei ihm ja viel besser aufgehoben ist.

Sie ist längst im Abgrund der Verzweiflung versunken, mimt aber am Telefon die Verständnisvolle. Ihr Ex, obgleich er das Zittern ihrer Hände nicht sieht, hat seine Zweifel an ihrer Coolness. Sie streitet es ab: „Du musst doch hören, dass meine Stimme dir nichts verbirgt.“ Hier spielt der Text gekonnt mit der Virtualität elektronischer Kommunikation. Regisseur Dieter Seidel unterstützt mit seiner sparsamen Inszenierung den Charakter des Stücks. Den Theatergästen geht es wie der Frau, die sich ans Telefon klammert: Man glaubt mit den Ohren sehen zu können. Oehl versteckt die Verzweiflung so eindringlich, dass sie sichtbar wird.

Der zweite Teil des Abends ist eine Wiederholung des ersten mit anderen Mitteln. Es ist die Musiktragödie Die menschliche Stimme, die Francis Poulenc nach dem Text von Cocteau komponiert hat. Einfühlsam vom Pianisten Ulrich Stolpmann begleitet, singt der Countertenor Jan Kollmar die Titelrolle.

Er sitzt – ebenfalls mit heutiger Technik spielend – am Computer und klappert an der Tastatur mit dem Klavier um die Wette. Was anfangs ein passender Regieeinfall ist, wirkt bald störend. Requisiten werden im Raum verteilt, die Gestik illustriert den Text. Symptomatisch: Ein Packen Briefe mit Schleifchen wird in die Luft gewirbelt. Leider zerschellt der Wurf an der zu niedrigen Decke. Hier wird komische Oper gespielt.

Die Regie hat den Dreiklang Spiel, Gesang und Musikbegleitung nicht in den Griff bekommen. Dabei hätte das Zwiegespräch zwischen Gesang und Klavier dem Schauspielmonolog etwas ähnlich Intensives entgegen setzen können.

Christian Rubinstein

letzte Vorstellung: Sa, 16. Juni, 20 Uhr, Theater N.N., Hellkamp 68

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