: Atlantik im Ohr
Das Festival „Cosmopolis“ will Lissabon näher an Europas elektronische Musikszene rücken – und umgekehrt die Musik in die Stadt holen
Wenn die bekannteste Band Portugals etwas Neues präsentiert, dann ist ihr die Aufmerksamkeit der Medien ihres Landes gewiss. Als Madredeus kürzlich in Lissabon an zum Presseempfang luden, um ihr jüngstes Produkt vorzustellen, das Remix-Album „Electronico“, da hatten sie für das Ereignis ein schickes Lounge-Café gewählt, mit weißen Wänden und modischen Schalensitzen, wie es sie so auch dutzendfach in Berlin-Mitte gibt. Ein DJ beschallte den Innenhof des In-Cafés mit den getragenen Madredeus-Weisen, die, nach Bearbeitung durch ein gutes Dutzend DJ-Hände, noch eine Spur entrückter und ätherischer klingen als bisher gehabt: Unterlegt durch elektronisches Geblubber, durch Dub-Sequenzen zerdehnt oder auf die House-Piste gebracht, bieten sie ein gutes Beispiel dafür, wie nahtlos sich akustische und elektronische Klangwelten ineinander fügen können, wenn man denn so will.
Pedro Ayres Magalhaes, der Gitarrist und Kopf von Madredeus, gab Auskunft zum Entstehungsprozess: Per Post seien die Bänder hin und her gegangen, keinen einzigen der Remix-Produzenten habe er persönlich getroffen. Das aber sollte nun nachgeholt werden: Als der schottische Komponist Craig Armstrong, der schon für Björk und Madonna elektronische Arrangements modellierte, zur Begrüßung auf Pedro Magalhaes zuschritt, da stürzte sich ein Rudel Fotografen auf das Motiv, um diese erste persönliche Begegnung der beiden Musiker auf Film zu bannen. Währenddessen sprach Teresa Salguiero, die Madredeus-Sängerin, von mehreren Fernsehteams umringt, ein paar freundliche Sätze in die ihr hingereichten Mikrofone.
Am Abend konnte man dann genau diese Szenen im Hotel-TV sehen, das Gespräch mit Teresa Salguiero und die Cocktail-Gesellschaft im Hintergrund. Portugal ist eben ein kleines Land. Deswegen stellt sich der Effekt medialer Verdopplung hier häufiger ein: Ob man sich nun, mit ein paar hundert anderen Menschen, auf dem futuristisch anmutenden Expo-Gelände die Liveübertragung eines WM-Fußballspiels anschaut oder über die Freiluft-Buchmesse in Lissabons zentralem Parque Eduardo VII schlendert: Fast sicher kann man sich sein, das Ereignis noch am gleichen Abend im TV-Abendprogramm gespiegelt zu bekommen. Portugal ist eben ein sehr kleines Land.
Der Cocktail-Empfang von Madredeus bildete den quasi inoffiziellen Auftakt zum elektronischen Musikfestival „Cosmopolis“, das damit bereits zum dritten Mal vom Stapel lief. Das Minifestival erstreckt sich über drei Abende und findet parallel an zwei Orten statt, in Lissabon und in Porto, mit jeweils den gleichen Gruppen. Es sind vor allem französische Elektronik-Acts, die hier ein prominentes Forum finden, Bands mit klingenden Namen wie Telepopmusik und Supermen Lovers oder DJs wie Morpheus aus Belgien, die hierzulande noch wenig bekannt und auch in Portugal bislang kaum zugkräftig sind. Entsprechend langsam füllten sich die geräumigen Hallen am Fuße der imposanten Brücke des 25. April, Europas größter Hängebrücke, obwohl der Ort attraktiv gewählt war und die auffälligen Festivalplakate überall in der ganzen Stadt klebten. So blieb die Atmosphäre in den weiten Clubräumen, bei Bier aus dem Plastikbecher und klebrigen Energydrinks, etwas kühl und reserviert, obwohl sich Telepopmusic mit eingängigem Elektropop irgendwo zwischen Massive Attack und Faithless und Supermen Lovers mit routiniertem Disco-Funk redlich mühten.
Erst den Franzosen von Llorca und Lali Puna aus Deutschland gelang es am zweiten Abend, die eher introvertierte portugiesische Jugend aus der Reserve zu locken und ins Schwitzen zu bringen. Im Chill-out-Raum räkelten sich derweil kleine Grüppchen auf den bunt glitzernden Plastikkissen und folgten versonnen den farbintensiven Videoprojektionen an der Wand, während andere auf der Terasse auf die Brücke blickten, die am Horizont im Dunkel zu verschwinden schien.
Dass ein gutes Dutzend Journalisten aus mehreren Ländern in Lissabon vor Ort waren, um sich ein Bild von „Cosmopolis“ zu machen, ist dem Engagement von Fernando Marques zu verdanken, dem jungen Gründer des Festivals. Der gebürtige Portugiese hat in Frankreich schon mehrere vergleichbare Veranstaltungen aufgezogen. Mit „Cosmopolis“ will er Lissabon und Porto nun mit Europas elektronischer Musikszene vertraut und umgekehrt diese mit Portugals touristischen Vorzügen bekannt machen. Darum stapften, mehrere Tage lang, ganze Delegationen der französischen Techno-Magazine Coda und Technikart durch die Gassen der Altstadt von Lissabon, um den kleinen Clubs, Bars und Plattenläden nachzuspüren, die sich dort in den letzten Jahren zwischen Fado-Kneipen und Touristenrestaurants eingenistet haben: das Biotop, in dem „Cosmopolis“ seine Wurzeln hat.
Noch allerdings ist das Mini-Festival ein zartes Pflänzchen, das erst zu Kräften kommen muss. Mit DJs, die tagsüber den öffentlichen Park des „Jardim Estrella“ mit wummernden Beats überzogen, probte das Festival zwar den Ausbruch aus den Grenzen des Nachtlebens. Von den älteren Spaziergängern im Park wurde der Plattenmischer, der seine Anlage gut sichtbar in einem erhöhten Pavillon ausgestellt hatte, allerdings noch ungläubig bestaunt wie ein Paradiesvogel vom anderen Stern in einer Voliere: Da ist noch Entwicklungsarbeit zu leisten.
Zwar hat auch das vergleichbar gepolte Sonar-Festival in Barcelona vor Jahren einmal klein angefangen, bevor es sich zur heutigen Größe ausgewachsen hat. Allerdings hat man in Barcelona die hedonistischen Balearen direkt vor der Haustür. In Lissabon dagegen hat man, wenn man aufs Meer hinausblickt, nur das Rauschen des Atlantiks im Ohr.
Noch ist das Festival deswegen ein ausgefallenes Schmuckstück in einer Stadt, die sich mit wahrer Leidenschaft am liebsten in althergebrachtem Vergnügen ergeht. Beim mehrtägigen Stadtfest zu Ehren des heiligen Antonius, das im Anschluss an „Cosmopolis“ begann, verwandelte sich Lissabons Altstadt jedenfalls recht einmütig in eine riesige Barbecue-Zone. Kirchenglocken läuteten die „Happy Birthday“-Melodie, während die Gassen der Altstadt allmählich in dichtem Rauch versanken, hervorgerufen durch Tonnen von Sardinen, die vor jeder Kneipe und auf jedem Platz enthusiastisch auf dem Grill verkohlt wurden.
DANIEL BAX
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