: Ohne Popjargon
„Ich hatte es wieder mal hinter mir“: DJ Hans Nieswandt berichtet in „plus minus acht“ aus seinem Tag- und Nachleben – und liest daraus im Mojo
von ROGER BEHRENS
Was seit einigen Jahren unter dem Etikett Pop-Literatur auf dem Buchmarkt floriert, ist – sofern überhaupt von Literatur zu sprechen wäre – Literatur rückwärts: Nicht der Autor schreibt, sondern das Geschriebene geriert sich als eine Art Beweis des Autors. Auch die Belletristik hat ihre Moden, und in der Popliteratur ist es die Mode des Autobiographischen.
Bisher waren es zumeist die Alten, die zurückblickten und damit auch Geschichte schrieben, die als Zeitzeugen daran erinnerten, dass Biographie im 20. Jahrhundert vom Überleben handelt. Und wenn von Jugend die Rede war, dann weil sie etwas Querlaufendes hatte, als Anatomie des Anti-Subjekts, wie Manuela Günter ihre Arbeit über das Autobiographische bei Carl Einstein, Siegfried Kracauer und Walter Benjamin nannte.
Die Welt der Erlebnisberichte, die uns die Popliteratur beschert, ist eine bunte, heile Welt. Es geht um die Nullschnaller, die einfach scheiße aussehen, uncool sind und immer noch die alten Klamotten tragen. Der Autor richtet über sie. Kein Wunder, dass die Popliteraten sich eher auf Gottfried Benn oder Ernst Jünger beziehen – oder bezogen werden –, weniger auf Franz Kafka oder Hubert Fichte. Dass Popliteraten unsympathische Arschlöcher sind, gehört zum Selbstbild. Weniger identifiziert sich der Leser (männlich) wohl mit den Jungliteraten selbst oder den beschriebenen Situationen, als vielmehr mit dem Gestus, in dem die anderen und die übrige Welt für ihre Nixcheckung abgestraft werden.
Andere fertigmachen um des Fertigmachen willens ist Grundzug von Popkultur überhaupt, definiert ihren Spaß, der alle Brüche, alles Elend kaschiert und gegebenenfalls totlacht. Im kühlen Schatten der Großkotzigkeit gibt es aber auch die kleine Literatur, die aus den Fragmenten geschrieben ist, wo Erfahrung sich nicht am Unterhaltungswert bemisst: Silvia Szymanski oder Tanja Dückers. Und Hans Nieswandt, der DJ und Musiker. Er hat mit plus minus acht – DJ Tage, DJ Nächte eine Art Gesellschaftsbiographie geschrieben.
Nieswandts Thema sind die neunziger Jahre und die Frage, warum Tanzen, Disco und Plattenauflegen für die Popkultur so wichtig wurde, bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust all jener Aspekte des Sozialen, die nicht tanzbar waren. „DJs sind wie die Tanzorchester auf der Titanic. Sie können nichts für den Untergang, sie können ihn auch nicht verhindern, sie spielen einfach nur die Musik dazu. Manche tun das extrem laut, ‚damit man nicht hört, wie die Welt zusammenbricht‘?“
Der Rest ist Geschichte, die mit Mixtapes anfängt, im Tempelhof losgeht, bis nach Brasilien kommt – und jetzt als Erzählung wieder in Hamburg landet: Hans Nieswandt wird im Mojo lesen. Ohne Popjargon. Später wird Nieswandt als ein Drittel von Whirlpool Productions im Pudel auflegen, versus koweSix. Ohne Attitüde.
Lesung: heute, 20 Uhr, Mojo; Hans Nieswandt, plus minus acht, KiWi, Köln 2002, 223 S., 8,90 Euro
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