: Stettiner Werft: Pleite als Rettung
Die polnische Regierung muss nun nicht mehr entscheiden, ob sie die Stettiner Schiffswerft wieder verstaatlicht: Das heruntergewirtschaftete Traditionsunternehmen hat Konkurs angemeldet und kann nun wieder auf Hilfe der Banken hoffen
aus Stettin GABRIELE LESSER
In der nordpolnischen Hafenstadt Szczecin (Stettin) sind alle erleichtert: „Die Werft ist pleite! Das ist die Rettung! Jetzt kann es nur noch bergauf gehen.“ Die über 5.000 Werftarbeiter hatten in ihrer Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes die Werft zunächst besetzt, sich aber beruhigen lassen, als sie hörten, dass die Stocznia Szczecinska S.A. nach der Pleite wieder die Produktion aufnehmen werde. Am Montag reichte der Vorstand bei der Wirtschaftskammer des Stettiner Gerichts den Konkursantrag ein: die Stettiner Werft ist zahlungsunfähig.
Der Name der Werft wird sich ändern, das gesamte bisherige Management wird ausgetauscht, die Stadt Stettin will insgesamt eine Million Zloty Hilfsgelder an Familien der rund 5.000 Werftarbeiter auszahlen, die in den letzten Monaten keinen Lohn oder nur Anzahlungen erhalten haben. Die Gläubigerbanken arbeiten ein Hilfsprogramm für die Porta Holding aus, die Muttergesellschaft der seit dreieinhalb Monaten ruhenden Werft. Sie steht bei den Banken mit 1,8 Milliarden Zloty (rund 450 Millionen Euro) in der Kreide.
Zunächst hatte die von der postkommunistischen Linksallianz (SLD) geführte Regierung eine Wiederverstaatlichung der Werft ins Auge gefasst. Allerdings hätte dies den polnischen Staat, der ohnehin schon tief in den roten Zahlen steckt, an den Rand des finanziellen Kollaps gebracht. Zudem kriselt es auch in der benachbarten Werft in Gdynia (Gdingen). Mit der Re-Verstaatlichung der Stocznia Szczecinska S.A.und der Stocznia Gdynia S.A. hätte die Regierung die noch immer stattliche Zahl der völlig unrentabel arbeitenden Staatsunternehmen erhöht.
„Lasst sie Pleite gehen“, hatten daher in den vergangen Tagen Wirtschaftsexperten wie Robert Gwiazdowski vom wirtschaftspolitischen Think Tank Polens, dem Adam Smith Centrum in Warschau, gefordert. Denn dass Politiker, Berater und Banker ein großes Interesse an der „Rettung“ der Werft hätten, sei völlig klar. Die einen hofften auf Wählerstimmen, die anderen auf Aufträge für weitere Expertisen, die Banker schließlich auf gute Geschäfte mit den vom Staat garantierten Krediten. In Wirklichkeit aber wüssten alle nur zu gut, dass die Stettiner Werft auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sei. Es sei denn, ein neues Management entwerfe ein neues Produktionsprofil.
In ihre existenzbedrohende Lage nämlich war die Werft nicht nur durch die weltweit fallenden Schiffspreise und den hohen Zloty-Kurs geraten, sondern auch durch schwerwiegende Produktionsfehler. So dauerte beispielsweise die Entwicklung neuer Schweißtechniken für einen Chemikalientanker länger als vorgesehen. Die Werft konnte den Liefertermin nicht einhalten, musste eine Vertragsstrafe und damit auch einen niedrigeren Gewinn hinnehmen. Statt nun aber die Banken über die Produktionsschwierigkeiten zu informieren und einen Krisenplan zur Finanzierung des jeweiligen Schiffes aufzustellen, zapfte die Werftleitung einfach die Kredite für die anderen Schiffe an und überbrückte somit die Zahlungsschwierigkeiten.
Im November letzten Jahres flog diese Art der Zwischenfinanzierung auf. Die nur für den Export arbeitende Werft hatte erstmals seit fünf Jahren Verlust gemacht – 100 Millionen Zloty (knapp 28 Millionen Euro). In der Rangliste der weltweit größten Werften fiel Stettin vom 22. auf den 31. Platz zurück. Die Banken, die sich bislang auf die Expertisen der Beratungsfirma Ernst & Young Audit verlassen hatten, prüften nun selbst die Bücher und mussten feststellen, dass die auftragsgebundenen Kredite für andere Schiffe verwendet worden waren. Sie stoppten alle laufenden Kredite. In der Folge konnte die Stettiner Werft weder die Löhne auszahlen noch die Rechnungen der Zuliefererfirmen begleichen. Anfang März musste sie wegen Zahlungsunfähigkeit die Produktion einstellen. Seither sind die Werfttore geschlossen.
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