: „Wir spielen die Rolle des Brokers“
Interview HEIKO HÄNSEL
taz: Herr Busek, Sie sind jetzt fast ein halbes Jahr im Amt als EU-Koordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Ihr Vorgänger Bodo Hombach hat bei seinem Abgang die EU-Kommission für deren schleppende Arbeit scharf kritisiert. Was ist denn die konkrete Rolle der Europäischen Kommission im Stabilitätspakt?
Erhard Busek: Über sie kommen wir an laufende Programme heran, zum Beispiel den Graz-Prozess für das Bildungswesen. Die EU-Kommission finanziert natürlich einen Großteil des Stabilitätspakts. Das heißt auch, dass die Kommission gewisse Kontrollfunktionen ausübt. In der Zusammenarbeit mit der Organisation stellte ich jedoch eine Verkrampfung fest. Das war eines der ersten Probleme, mit dem ich mich befasst habe. Allerdings: Ohne Bodo Hombach wäre der Stabilitätspakt nicht geworden. Da gibt’s nichts dran zu rütteln. Er hat dafür die nötige Härte gehabt.
Sie haben gesagt, der Stabilitätspakt sei jetzt in seine „zweite Phase“ getreten. Was meinen Sie damit?
Wir haben neue Formen gefunden. Wir sind weg von dem Prinzip, quasi alles zu finanzieren. Wir haben jetzt einen realistischeren Bezug. Ich habe dafür eine Sieben-Punkte-Agenda aufgestellt. Für das Jahresende 2002 werden wir einen Bericht abliefern, der zeigen wird, ob wir diese Ziele umgesetzt haben.
In einer gewissen Hinsicht ist die Gesamtkonzeption des Stabilitätspakt für Südosteuropa anmaßend. Er soll die Gesellschaft modernisieren, die Wirtschaft aufbauen, die Grundlagen der Demokratie legen, die Mentalitäten ändern. Dafür sind die Geldmittel ziemlich bescheiden.
Das ist ganz klar eine Unverhältnismäßigkeit, in der sich westliche Arroganz spiegelt. Deshalb ist der Umgangston mit den südosteuropäischen Vertretern, den man pflegt, sehr, sehr wichtig. Da ist mein Grundsatz, wir schreiben denen nicht vor, was und wie sie zu denken haben. Der Stabilitätspakt macht Angebote, die können angenommen werden oder eben nicht.
Unter einigen Südosteuropa-Experten besteht die Meinung, der Stabilitätspakt könne nicht funktionieren, weil die südosteuropäischen Staaten eben keine regionale Kooperation wollen. Was halten Sie davon?
Ein sehr oberflächliches Urteil, das für die Vergangenheit richtig war, für die Gegenwart falsch ist. Wir haben gerade zwischen den einst bis aufs Blut verfeindeten Serben und Kroaten eine Reihe von Abkommen erreicht. Wir haben eine südosteuropaweite Kooperation bei der Polizei und der Verbrechensbekämpfung. Slowenien, ein Primus der Beitrittskandidaten, investiert massiv in den alten jugoslawischen Gebieten, allerdings mit der Einschränkung, dass man sich nicht politisch in der Region einbinden will. Ich bin da insgesamt überhaupt nicht unzufrieden.
Wir wollen Sie die Disparitäten überwinden zwischen potenziellen EU- und Nato-Beitrittskandidaten wie Bulgarien und Rumänien und Ländern wie Albanien und Jugoslawien, denen mittelfristig nur Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU angeboten werden?
Erst einmal muss der Westen natürlich einheitlich auftreten. Und es gibt eben in der EU Regierungen, die hätten eigentlich am liebsten die alte Landkarte und das alte Jugoslawien zurück. Das spürt man in der Region instinktiv. Darauf hat man in Brüssel und Berlin reagiert und nennt die Länder des ehemaligen Jugoslawien jetzt „Westbalkan“. Natürlich eine missglückte Bezeichnung, denn die hat es nie vorher gegeben. Durch die Unterscheidung von Kandidatenländern wie Rumänien und Bulgarien haben wir dort in Bukarest und Sofia die Erwartung geweckt, die hätten mit den ärmeren Brüdern aus Exjugoslawien, die keinen Kandidatenstatus haben, nichts zu tun. Und es gibt EU-Regierungen, die ihnen sagen, ihr seids was Besseres.
Was halten Sie denn in diesem Zusammenhang von dem Vorschlag von CDU-Politikern um Lamers zur Errichtung einer Südosteuropäischen Union als Vorstufe zur EU?
Das ist wenig hilfreich. Nur keine neuen Trennwände. Lieber auf den Zeitfaktor setzen und sagen, ihr brauchts vielleicht noch eine gewisse Zeit. Und nur keine Jahreszahlen nennen für eventuelle Beitritte. Die Jahreszahlen bestimmen die Länder selbst durch ihre Arbeit. Nehmen wir das Beispiel Mazedonien, das bereits einen Assoziierungs- und Stabilitätsvertrag mit der EU abgeschlossen hat. Das labile Land hat sich nach der Unabhängigkeit 1991 zunächst sehr gut entwickelt. Aber voriges Jahr kam durch den Spill-over-Effekt aus dem Kosovo der harte Rückschlag. Das sind Dinge, die kann man schwer vorhersagen. Die Sicherheitssituation ist aber immens wichtig. Deutsche Wirtschaftsberater sagen mir knallhart, sie raten ihren Kunden aufgrund der allgemeinen Unsicherheit, in China und nicht in Südosteuropa zu investieren. Das sage ich meinen Partner in der Region auch, damit sie begreifen, woher der globale Wind weht.
Was ist mit dem Status Kosovos? Die Internationale Kosovo-Kommission hat dazu im Herbst 2001 einen mutigen Vorschlag gemacht, der unter der Überschrift „Eingeschränkte Unabhängigkeit“ für Kosovo stand.
Das liegt natürlich an der UN-Resolution 1244, die den Status regelt. Alles, was verändert werden soll, das schauen sich die Russen natürlich ganz genau an. Bei Kosovo muss man wirklich einmal deutlich sagen: Es gibt eine Grenzkontrolle an einer Grenze, die eigentlich keine sein soll. Es gibt einen Zoll, es gibt eine eigene Währung, es gibt ein unabhängiges Rechtssystem. Und dennoch soll Kosovo als staatliche Struktur angeblich nicht existieren?
Sie sind also der Meinung, das Kosovo wird langfristig unabhängig?
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich hier eine Lösung abzeichnen wird. Dies zu entscheiden, ist jedoch nicht Aufgabe des Stabilitätspaktes.
In einer offiziellen Darstellung des Stabilitätspaktes heißt es, 94 Prozent aller geplanten Projekte hätten begonnen. Wie viele sind abgeschlossen?
Schon ein paar. Diese 94-Prozent-Angabe stammt aus der Zeit vor meiner Amtsübernahme und ist ein bisserl irreführend. Denn darunter wurde alles verbucht, wo auf dem Papier etwas begonnen hatte. In der Region betrachtet man aber ein Projekt erst als begonnen, wenn tatsächlich gebaut wird. Ich rechne aber damit, dass mit 2002 mindestens 50 Prozent aller Bauprojekte ihren Anfang genommen haben, so dass man von wirklicher Realisierung sprechen kann.
Ein Beispiel für Nichtrealisierung war die rumänisch-bulgarische Donaubrücke bei Vidin/Calafat, ein Projekt, dessen Abschluss damals groß gefeiert worden war. Da hatte der Stabilitätspakt richtig schlechte Presse.
Dieses Beispiel stimmt gerade nicht. Hier ist Mitte 2003 Baubeginn, ganz gemäß dem urspünglichen Fahrplan. Es zeigt aber gut die Problemlage. Die Vorbereitungen dauern eben. Sie können nicht einfach eine Brücke in die Landschaft setzen. Sie müssen planen, Land enteignen, auch Straßen bauen, die dorthin führen. Das sind Dinge, die in ihrem Zeitbedarf eindeutig unterschätzt wurden.
Wie funktioniert der Stabilitätspakt, der ja selbst – anders als in der Öffentlichkeit häufig angenommen wird – über keine eigenen Gelder verfügt? Wer finanziert? Wer hat das initiiert?
Um beim Beispiel Brücke zu bleiben: Die bulgarische Regierung hat dieses Projekt eingereicht. Dann wurde es von der Infrastructur Steering Group, wozu alle großen Player, also Weltbank, Europäische Investitionsbank, Entwicklungsband des Europarates, Europäische Kommission, und Stabilitätspakt gehören, beurteilt. Wir spielen dabei immer die Rolle des Brokers. Nachdem in diesem Stabilitätspaktrahmen beschlossen wurde, kommen die Projekte gemäß den Verfahren der Geber zur Ausführung. Dann wurde es im Stabilitätspakt beschlossen und kam in die Projektdurchführungsprozedur.
Wer ist der Geldgeber?
Die oben genannten internationalen Finanzinstitute, einzelne Regierungen sowie – ganz wichtig –die EU-Kommission.
Das heißt, die 5,4 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen, sind keine kostenlosen Kredite, die die Region geschenkt bekommt?
Richtig. Wobei es unterschiedliches Geld gibt. Zum Anschub können die Kosten vollständig von außen übernommen werden, um so genannte Initialzündungen zu erreichen. Für Infrastruktur gibt es Kredite von nur 1 bis 2 Prozent Zinsen, aber auch Kredite zu Marktbedingungen. Das ist eben ein Teil der Aufgabe des Stabilitätspaktes, diese unterschiedlichen Gelder zu koordinieren und zusammenzuführen. Denn die Geldgeber wollen das Geld auch auf eine bestimmte Weise verwendet sehen. Es ist eine sehr gemischte Übung. Ein Problem, das im Zusammenhang mit dem Geldtransfer nie erwähnt wird, ist der Internationale Währungsfonds (IWF). Der hat Auflagen mit den Ländern vereinbart. Und die Gelder, die über den Stabilitätspakt reinkommen, beeinflussen die Währungs- und Finanzpolitik der Staatshaushalte nachhaltig. Hier interveniert der IWF schon mal, indem er die Länder im Rahmen der IWF-Programme auf die Einhaltung der vereinbarten Maximalverschuldung verpflichtet.
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