: Irrlichternde Strukturen
Musikalisches Multitalent im Porträt: Die NDR-Reihe „das neue werk“ stellt im Rolf-Liebermann-Studio Arbeiten des 2001 verstorbenen Komponisten, Dirigenten, Musikers und Theoretikers Giuseppe Sinopoli vor
Multitalente gibt es in der Musik einige: Pianisten, die auch Dirigenten sind; Dirigenten, die auch Komponisten sind; Komponisten, die auch Wissenschaftler sind. Der vor gut einem Jahr während eines Konzerts am Dirigentenpult verstorbene Giuseppe Sinopoli war all dies und noch einiges mehr. Bekannt geworden ist er zunächst als Komponist. Seit Beginn der 80er Jahre wirkte Sinopoli aber fast nur noch als eigenwilliger und eher introvertierter, dabei aber höchst charismatischer Dirigent. Die Staatskapelle Dresden konnte einige Jahre lang manch musikalische Glanzstunde mit ihm verbringen.
Was nicht alle wissen: Sinopoli hat ein komplettes medizinisches Studium absolviert und eine Doktorarbeit über psychiatrische und kriminalanthropologische Fragen verfasst. Und: Er hat sich so intensiv wie kaum ein anderer Komponist unserer Zeit mit philosophischen und kulturgeschichtlichen Themen auseinander gesetzt. Ende der 70er Jahre schrieb Sinopoli eine Oper, die sich um eine der faszinierendsten Frauenfiguren der vorletzten Jahrhundertwende dreht: Lou Salomé, zu deren Umfeld unter anderem Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche zählten.
1981 wurde Lou Salomé in München uraufgeführt. Trotz vieler musikalisch hoch faszinierender, schillernder Passagen konnte sich das Werk nicht durchsetzen. Zu problematisch geriet Sinopoli die Dramaturgie, zu kopflastig sein philosophischer Diskurs in Tönen, als den man große Teile der Oper bezeichnen könnte. Der NDR hat sich nun in seiner Reihe das neue werk vorgenommen, das zu Unrecht vergessene, sehr vielschichtige kompositorische Schaffen des Venezianers einem heutigen Publikum bekannt zu machen.
Wesentliche Werke Sinopolis, sein frühes Kammerkonzert und seine Klaviersonate, werden ergänzt durch Stücke, die als Resultat von Sinopolis Auseinandersetzung mit der Vokalrenaissance anzusehen sind. Abgerundet wird das Programm dieser Portrait-Nacht durch zwei ganz unterschiedliche Werke besonderer Wertschätzung Sinopolis: Deutsche Tänze von Franz Schubert in einer Bearbeitung Anton Weberns und Richard Wagners „Siegfried-Idyll“.
Zusätzlich liest Dietrich Mattausch Passagen aus Sinopolis wichtigster Schrift Parsifal in Venedig. Das NDR-Sinfonieorchester spielt unter Emilio Pomarico; die Witwe Sinopolis, Silvia Capellini, ist Solistin beim Kammerkonzert und der Klaviersonate. Wer einmal die irrlichternden, dabei immer klar strukturierten Klänge Sinopolis erlebt hat, der weiß, dass dieser Musik weitaus mehr als nur historische Bedeutung zukommt.
Reinald Hanke
heute, 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio des NDR (Oberstr. 120)
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