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berliner szenen Wohin mit dem Heroin?

Tote Junkies

Die Mutter war schon vor Wochen aus Polen nach Berlin angereist, sie hatte in Neukölln an die Wohnungstür geklopft, hatte geweint. Ihren Sohn hat sie nicht gefunden, er war einfach weg, niemand wusste wohin, die Mutter fuhr wieder heim. Wenn irgendwo in Berlin Leichen gefunden werden sollten, dann hier, hatte der Hauseigentümer vorher noch gesagt, so schlecht war ihm sein eigener Besitz erschienen, so beschädigt und vergessen. Er hat das mit den Leichen trotzdem eher als Witz gemeint.

Dann haben sie die Wohnung aufgebrochen. Ein unangenehmer Geruch hatte Aufmerksamkeit erregt. Die Polizeibeamten steckten die toten Körper der beiden polnischen Junkies in Plastiksäcke und trugen sie weg. Der Verwesungszustand war bereits fortgeschritten, eine Fettschicht hatte sich auf den Leichen gebildet, das Zimmer war von Maden und Fliegen bevölkert. Das Ganze war eine ziemliche Sauerei. Der Sohn des Hausbesitzers und seine Freundin haben aufgeräumt hinterher, die Räume wieder vermietbar gemacht. Einer Putzkolonne könne man sowas nicht zumuten, hatte der Vater allen erklärt. Hinter einem Schrank fanden der Sohn und die Freundin das Heroin, sie haben es behalten. Den Rest – die Möbel, den Teppich, den Müll – trugen sie zum Fenster und warfen alles auf die Straße. Eine anstrengende Arbeit, die beide noch lange Jahre mental beschäftigt halten wird. Wohnungen, in denen Menschen verwest sind, weisen oft noch Jahre später Insektenbefall auf. Bisweilen bilden sich an der Decke robuste Flecken, die selbst nach mehrmaliger Renovierung wieder hervortreten. Es kann sein, dass eine solche Zukunft auch der Wohnung in Neukölln bevorsteht. Was jetzt mit dem Heroin passiert, ist genauso unklar.

KIRSTEN KÜPPERS

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