: Wenn der Bulle im Weg steht
Ilhan Mansiz hat die Türkei ins Halbfinale der WM geschossen. In der Nationalelf steht der in Deutschland aufgewachsene Profi im Lager der Bittsteller. Kapitän Hakan Sükür, der das Wort führt, spielt auf seiner Position – noch
OSAKA taz ■ Es war der schönste Augenblick im Leben des 26-jährigen Ilhan Mansiz, als er mit seinem Tor die Türkei ins Halbfinale geschossen hatte. Doch die Geschichte Ilhans handelt auch davon, wie schwer es ein junger Mann hat, der in Deutschland aufgewachsen ist und eigentlich nie in die Heimat seiner Familie zurückwollte. Auch wenn er nun schon vier Jahre in der ersten türkischen Liga spielt, in der vergangenen Saison Torschützenkönig geworden ist und den Status eines Popstars genießt.
Trotzdem ist Ilhan nicht erste Wahl. Hakan Sükür dagegen schon. Hakan, der Kapitän, der „Bulle vom Bosporus“, wie der berühmteste Mittelstürmer der Türkei genannt wird, steht unter Denkmalschutz. Auch Ilhan hat Hakan kurz erwähnt. Er habe es hier besonders schwer, da sein direkter Konkurrent Hakan sei. Und er müsse den Trainer verstehen. „Obwohl, vielleicht könnten wir auch zusammen spielen.“ Weil sich die türkischen Zeitungen nämlich auf die Seite des jüngeren und agileren Ilhan geschlagen haben und schon länger dessen Einsatz fordern, ist die Sache eskaliert zum Presseboykott. Im Rahmen ihrer Recherchen nach den Privilegien ihres Superstars hatten die Blätter Hürriyet und Milliyet erstaunliche Hintergründe aufgedeckt: Anstelle des Trainers Senol Günes stelle Hakan die Elf auf. Dabei wähle er vor allem Galatasaray-Profis oder Spieler, die mit ihm vor zwei Jahren den Uefa-Cup gewonnen hatten. Gegen Japan seien acht von Hakans Freunden aufgelaufen.
Dass der Kader nun in zwei Lager gespalten sei, hänge nicht nur an den alten Klubbanden. Auch religiöse Gründe spielten eine Rolle. Die Fraktion der ordentlichen Muslime mit Hakan befolge auch während der WM die Weisungen des Islam. Dagegen stünden jene Profis, die im Ausland aufgewachsen seien und sich wie Ungläubige aufführten. In dem Artikel werden aus jener Gruppe zwei Spieler (anonym) zitiert, die berichten, von Hakan und dessen Glaubensbrüdern würde religiöser Druck ausgeübt.
Angesichts solch interner Probleme war es fast schon ein Wunder, wie sachlich die Spieler ihren Plan gegen Senegal durchgezogen haben. Mit einer Ausnahme. Hakan Sükür verstolperte drei große Torchancen und sah in seiner Verzweiflung Carsten Jancker immer ähnlicher. Als der Spielführer in der 67. Minute seinen Platz mit Ilhan tauschte, schien er fast erlöst. Ilhan lupfte schon beim ersten Ballkontakt die Kugel gefährlich ans Tornetz der Afrikaner, und als sich sein Weg kurz darauf mit dem des Leverkuseners Bastürk kreuzte, raunte er dem zu: „Junge, ich mach heute einen rein.“
Es ist anzunehmen, dass er seine Prognose auf Deutsch abgab. Wegen der jetzt wohl erst recht angespannten Medienlage hat Ilhan auch in seiner Muttersprache geschildert, was das „für ein Gefühl der Befreiung“ war, als er die Flanke von Davala ins Tor bugsiert hatte: „Ich wollte, dass der reingeht, denn wenn man nur ein paar Minuten spielen darf, baut sich der Druck jedes Mal noch ein bisschen mehr auf.“
Bis 17 hat er in Kempten im Allgäu gelebt und gekickt, über die A-Jugend vom FC Augsburg ging es zu den Amateuren des 1. FC Köln. Mit 19 musste er in die Türkei, wohl auch weil sich die Familie vom Profisalär des Sohnes in Ankara einiges versprach. „Dort bin ich nach sechs Monaten abgehauen, hab’ dann sechs Monate ganz aufgehört, und danach in München bei Türk Gücü gespielt. Landesliga.“ Und immer wieder streut er in seinen Lebenslauf ein, er habe es schwer gehabt, weil er mehr der deutschen als der türkischen Mentalität verwachsen sei.
Im zweiten Anlauf hat Ilhan es geschafft. „Man darf vor Problemen nicht immer weglaufen“, hat er gesagt, bevor ihn der türkische Presseoffizier weggezogen hat. Die Chance, dass man sich beim Endspiel gegen Deutschland wieder sehe, sei vorhanden. Nach der unglücklichen Niederlage im Gruppenspiel gegen Brasilien rechnen sich Ilhan und Co. bei der Neuauflage mehr aus: „Wenn sie noch mal so einen schwachen Tag erwischen wie gegen Belgien, nutzen wir das aus.“ Sofern er dann mitmachen darf. Zumindest besitzt Ilhan jetzt bessere Karten. Vielleicht sogar bessere als Hakan Sükür.
MARTIN HÄGELE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen