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Die USA zündeln im Mercosur

Argentinischer Zentralbankchef nach Kritik am Internationalen Währungsfonds zurückgetreten. Für US-Finanzminister O’Neill sind auch weitere Kredite an Brasilien „keine brillante Idee“. Brasilien und Uruguay fürchten deshalb den „Tango“-Effekt

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Bislang hat Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso die drohende Finanzkrise allenfalls einem „inkompetenten“ Nachfolger zugetraut. Jetzt muss er sie selbst fürchten – sechs Monate vor Ende seiner Amtszeit. „Verantwortungslos“ sind für Cardoso die jüngsten Statements von US-Finanzminister Paul O’Neill. Der erklärte, es sei „keine brillante Idee“, das Geld US-amerikanischer Steuerzahler in die „politischen Unwägbarkeiten Brasiliens zu stecken“.

Damit könnte O’Neill, der sich im August 2001 fast wortgleich über Argentinien geäußert hatte, einen Kurswechsel in der Politik des Internationalen Währungsfonds gegenüber Brasilien angedeutet haben. Entsprechend reagierten die Finanzmärkte: Der Dollar kletterte auf die absolute Rekordmarke von 2,84 Real, der Börsenindex von São Paulo fiel um 4,7 Prozent.

Täglich mehren sich die Anzeichen, dass die Argentinienkrise massiver auf die Nachbarländer übergreifen könnte denn jemals zuvor. Aus Argentinien kommen allenfalls schlechte Nachrichten: Gestern trat der argentinische Zentralbankchef Mario Blejer zurück, der das Amt erst am 22. Januar übernommen hatte. Blejer mokierte sich in der vergangenen Woche über verschiedene Forderungen des IWF, die der für neue Kredite an das bankrotte Land aufgestellt hatte.

Die Mercosur-Länder müssten bald ihre Schuldenrückzahlungen einstellen, sagt die linksliberale Zeitung Página 12 aus Buenos Aires voraus. O’Neill und George W. Bush kämen bestenfalls zur Besinnung, „wenn ihnen die Multis erklären, dass sie die Krise viel Geld kostet“. Uruguay sei inzwischen bereits in der „Zitronenpresse“ gelandet.

Dort nämlich gab die aus den Traditionsparteien der Blancos und Colorados gebildete Regierung am Donnerstag den Wechselkurs frei, ähnlich wie zuvor Argentinien (Anfang 2002) und Brasilien (Anfang 1999). Und ähnlich wie bei den großen Nachbarn kommt der Schritt vermutlich „zu spät“, wie Alberto Curiel, Senator des Oppositionsbündnisses „Breite Front“, meint. Die nun zu erwartenden Inflationsschübe träfen besonders stark die „Lohnabhängigen und die Rentner“. Angeschmiert seien auch all jene, die sich auf Geheiß von Präsident Jorge Batlle in Dollar verschuldet hätten.

Der IWF hatte diese Maßnahme empfohlen, damit die Regierung den Turbulenzen „flexibler“ entgegentreten könne. Lob gab es dafür auch aus dem US-Finanzministerium. Nach der „Öffnung von wirtschaftlichen Schlüsselbereichen“ habe die Freigabe des Peso-Kurses der Regierung den Weg zu weiteren IWF-Krediten geebnet, sagte Staatssekretär John Taylor. Morgen will der IWF über die Erhöhung einer Kreditlinie um 1,5 Milliarden Dollar beraten.

Dennoch steckt Uruguy in der schwersten Wirtschaftskrise seit 30 Jahren. Die Wirtschaft schrumpft seit vier Jahren, offiziell beträgt die Arbeitslosenrate 15 Prozent. In den letzten fünf Monaten schmolzen die Devisenreserven um 47 Prozent, das sind 1,4 Milliarden Dollar. Von den Bankkonten werden bis Anfang Juni fast vier Milliarden Dollar abgezogen. Schon macht ein Schreckgespenst aus Argentinien die Runde: die Konfiszierung der Sparguthaben. Die meisten der drei Millionen UruguayerInnen schwanken zwischen Resignation und Protest. Im winterlichen Montevideo wurde die noch moderate Peso-Abwertung von zehn Prozent mit einem Trommelkonzert auf Kochtöpfen begrüßt. Brasilien dagegen schwelgt noch im Fußballfieber.

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