: Die Berliner Stadtmusikanten
Der Holtzbrinck-Konzern kauft den Berliner Verlag. Die hauptstädtische Zeitungsvielfalt soll trotzdem erhalten bleiben. Bei den Mitarbeitern halten sich Optimismus und Skepsis die Waage – sowie die Wut auf die bisherige Konzernmutter Bertelsmann
aus Berlin STEFFEN GRIMBERG
Die MitarbeiterInnen des Berliner Verlags haben schon ab Montag einen neuen Chef: Michael Grabner von der Verlagsgruppe Holtzbrinck.
Gestern also wurde nun offiziell, was vorgestern noch eifrig dementiert wurde: Der Verlagsriese Gruner + Jahr steigt aus dem Tageszeitungsgeschäft aus. Bis auf die Beteiligung am Wirtschaftsblatt Financial Times Deutschland gibt die überwiegend zum Bertelsmann-Konzern gehörende Holding alle Titel ab. Neben dem Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Kurier, Tip) gehörten auch die Sächsische Zeitung (Dresden) und die sächsischen Morgenpost-Titel (siehe Kasten) zu Gruner + Jahr (G+J).
„Das Regionalzeitungsgeschäft weist nur geringe Synergien zu den Zeitschriftengeschäften auf“, begründete G+J den von Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff seit langem geplanten Schritt: „Ein weiterer Ausbau des Zeitungsgeschäfts würde darüber hinaus hohe finanzielle Ressourcen binden, die zur Realisierung der internationalen Expansion und beim Ausbau der Stammgeschäfte notwendig sind“, fabulierte die Mitteilung weiter – was bei den Betroffenen so übersetzt wird: „Dass G+J vom Zeitungsgeschäft nichts versteht, ist uns schon länger klar“, sagt ein Berliner Zeitung-Redakteur. Es sei beinahe „beruhigend, zu einem Verlag zu kommen, der weiß, was eine Zeitung ist“.
Kartellprobleme
Beunruhigend ist dabei nur, dass die neuen Herren des Berliner Verlags alte Bekannte sind: Zum Holtzbrinck-Konzern gehört neben Handelsblatt und Zeit auch der Berliner Tagesspiegel.
Kartellrechtliche Probleme, so der Dortmunder Medienkonzentrations-Spezialist Horst Röper, seien daher unausweichlich. „Ein reines Ja des Kartellamts wird es nicht geben“, sagte Röper der Nachrichtenagentur dpa. Das Bundeskartellamt ist über den Verkauf informiert, ein entsprechender Antrag lag bis zum Redaktionsschluss dieser Seite allerdings noch nicht vor.
Michael Grabner, gestern auf Tour im alten wie im neuen Berliner Holtzbrinck-Haus, bemühte sich denn auch nach Kräften, publizistische Bedenken auszuräumen. Man vertraue weiter auf den Berliner Zeitungsmarkt „und seine künftige positive Entwicklung“, sagte Grabner laut offizieller Verlagsmitteilung. Von Zusammenlegung oder weitgehender Kooperation der Titel könne keine Rede sein. Vielmehr sei der „selbstständige Fortbestand“ von Tagesspiegel wie Berliner Zeitung garantiert.
Doch Grabners Aussage, so werde „die publizistische Vielfalt in der Hauptstadt aufrechterhalten und weiterentwickelt“, mochten die wenigsten aus vollem Herzen zustimmen. Zu deutlich fehlte zum einen die Boulevardzeitung Kurier in der Bestandsschutzerklärung des Hauses Holtzbrinck. Zum anderen sehen Mitarbeiter des Berliner Verlags die „gewaltige Gefahr, dass sich Holtzbrinck am Springer-Modell orientiert“: Das Unternehmen schlachtet nämlich gerade seine profitable Lokalzeitung Berliner Morgenpost zugunsten des siechen Prestigeobjekts Welt aus. Formal blieben auch hier beide Titel erhalten, von den weit über 100 eingesparten Stellen entfielen allerdings rund 80 Prozent auf die Morgenpost.
Auch Grabners Vertrauen in den Berliner Zeitungsmarkt mutet einigen Betroffenen angesichts jährlicher Millionenverluste bei beiden Blättern etwas zu optimistisch an: Nach Branchenschätzungen sorgt der Tagesspiegel für bis zu 15 Millionen Euro Miese, die Berliner Zeitung verschlechtert die Bilanzen trotz energischen Sparkurses noch mal um einen einstelligen Millionenbetrag. Ohne die Ausnutzung von Synergien im Verlags- wie im redaktionellen Bereich mache der Deal daher „wenig Sinn“, sagte ein Mitarbeiter: „Betriebswirtschaftlich ist das unrealistisch.“
Künftige Rechnungen bezahlen dürfte dabei vor allem die Berliner Zeitung, deren Stammleserschaft in den Berliner Ostbezirken seit Jahren bröckelt, während der eigentlich kleine Tagesspiegel leicht an Auflage gewinnen konnte. Und so konnte man beim Tagesspiegel die große Schwester ungeniert mit höchsten Tönen willkommen heißen: „Ich bewundere den Mut unserer Verleger, mit Investitionen das Überleben von Qualitätszeitungen zu sichern“, sagte Chefredakteur Giovanni die Lorenzo und meinte wohl auch das eigene Blatt.
Für andere mutige Verleger gab es gestern dagegen keine gute Presse: Gruner + Jahr und der Konzernmutter Bertelsmann, die sich ebenfalls in dem Ruhm sonnten, durch den Kauf der Berliner Zeitung im Jahr 1990 ein „echtes Stück Berlin“ gerettet zu haben, weint beim Berliner Verlag niemand nach. „Viele Lacher“ habe G+J-Zeitungsvorstand Achim Twardy für seinen „unsäglichen“ Auftritt bei der gestrigen Mitarbeiterversammlung geerntet, berichten Teilnehmer. Und den Mitarbeitern geraten, „selbstbewusst an das neue Projekt zu gehen“.
Die orientieren sich eher am Motto der Bremer Stadtmusikanten: „Wir wissen doch genau, wie es ist, wenn es unter unseren Eigentümern Leute gibt, die uns in Wirklichkeit gar nicht haben wollen“, umriss ein Berliner Zeitung-Redakteur seine vorsichtig-optimistische Sicht auf die kommende Ära Holtzbrinck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen