zwischen den rillen
: Neue Vermessungen im HipHop-Soul: Ashanti und Tweet

Babes in Gangland

Am Anfang des Soul war das Wort und das Wort war „Baby“. Was spiegelt sich hier nicht alles: Zärtlichkeit, Zuneigung, Nähe, kurz Intimität, aber genauso Machtgefälle, Geschlechterkampf, Geringschätzung, kurz Distanz. „Baby“ kann man singen, „Baby“ kann man sein, zum „Baby“ kann man sich stilisieren, zum „Baby“ kann man gemacht werden. Auf Ashanti trifft all das ein bisschen zu, vor allem aber Ersteres: „Baby, baby, baby, baby / I love you when I hear ya name / got me sayin’ baby, baby, baby, baby, baby“. Es gibt in der gesamten Popgeschichte wohl keine Platte, auf der das B-Wort häufiger benutzt wird als auf „Ashanti“, zugleich hat selten eine Platte so elegant verschiedenste Images übereinander geblendet: auch das ist Ergebnis der B-Wort-Dichte.

Nun ging man ja bisher immer davon aus, dass, seit es HipHop gibt, ein anderes B-Wort im Zentrum steht, wenn es in der schwarzen Musik um die Beschreibung von Frauen geht. Aber wahrscheinlich ist es genau dieser Übergang von Bitch zu Baby, der Ashanti zur momentan erfolgreichsten Sängerin der USA macht, mit drei Stücken in den Top Ten und einer halben Million verkaufter Platten allein in der ersten Woche nach Erscheinen ihres Albums.

Ashanti könnte das B-Wort natürlich nicht so erfolgreich neu definieren, wäre sie nicht bei einem Plattenlabel unter Vertrag, das den Besucher seiner Homepage mit vier Schüssen aus einer großkalibrigen Handfeuerwaffe begrüßt. Murder Inc. heißt es, und Ja Rule, dessen erfolgreichster Künstler, verkündete noch vor nicht allzu langer Zeit, sein Motto laute „M. O. B.“: „Money Over Bitches“. Nun ist Ashanti das Kind ehrgeiziger Eltern, und wenn man seit seinem dritten Lebensjahr auf eine Karriere im Showgeschäft vorbereitet wird, überlässt man nichts dem Zufall. Selbst wenn die Eltern in Interviews zu Protokoll geben, sie hätten gezögert, ihre Tochter einem Plattenlabel anzuvertrauen, das den Mord im Namen führt – genauso plant man den großen, genreübergreifenden Crossovererfolg: Man singe ein wenig bei den Kollegen von der rappenden Zunft im Hintergrund, leihe sich so ein wenig Glaubwürdigkeit, um dann mit dem eigenen Album in die scheinbar völlig entgegengesetzte Richtung zu steuern.

„Ashanti“ ist eine wunderschöne HipHop-Soul-Platte, die zwar keine Geschichten erzählt, die das Leben geschrieben hätte – wie etwa bei Mary J. Blige, der Königin des HipHop-R’n’B-Crossovers –, dafür sind es aber lauter kleine Fantasien, die damit spielen, wie es wäre, wenn man wirklich einen Typen wie Ja Rule als Freund hätte. Jemand, der genauso gut süßer Kleinkrimineller oder gemeiner Nachwuchsgangster sein könnte. Es sind Fantasien, die samt und sonders in dem Begriff „Baby“ kulminieren, und zwischen der Bitte „Rescue Me“, dem Befund „it’s kinda sick how I’m stuck on you“ und der Beschwerde „I don’t know why you treat me so bad“ oszillieren. Nicht wirklich ernst gemeint, aber eben ernst genug, um glaubwürdig Fantasie zu sein.

Wenn „Ashanti“ ein Album wie aus einem Guss ist, von dem man ausnahmslos jedes Stück als Single auskoppeln könnte (was wahrscheinlich auch passieren wird), so lebt „Southern Hummingbird“ von Tweet von seinen Brüchen. Da gibt es die von Missy Elliott und Timbaland produzierten Stücke, wie etwa „Oops (Oh My)“, die auf einem extrem abstrakten Rhythmusgerüst basieren, und daneben stehen Stücke, auf denen Tweet sich lediglich auf einer akustischen Gitarre begleitet.

Beruht die Perfektion von „Ashanti“ nicht zuletzt darauf, dass sich in ihr die gelungene Karriereplanung spiegelt, so machen die Brüche auf „Southern Hummingbird“ die Faszination der Platte aus: Das mag damit zu tun haben, dass hier eben keine Fantasien verhandelt werden, sondern die Erfahrungen einer Frau, die vielleicht auch gerne ein Star nach dem Ashanti-Prinzip geworden wäre, der dies aber verschlossen blieb. Jahrelang war Tweet als Teil einer Girlgroup bei einer Plattenfirma unter Vertrag, ohne dass jemals ein Stück veröffentlicht wurde. Und so ist „Southern Hummingbird“ zwar eine Platte, die zwar ohne das B-Wort auskommt, aber vielleicht gerade deshalb wie jedes große Soulalbum von dem handelt, was Menschen menschlich macht: Zärtlichkeit, Zuneigung, Nähe, Einsamkeit, Machtgefälle, Geschlechterkampf, Geringschätzung, kurz: von Nähe und Distanz. TOBIAS RAPP

Ashanti: „Ashanti“ (Murder Inc./Mercury); Tweet: „Southern Hummingbird“ (Goldmind/Eastwest)