: Fernwirkung Kohl
Bundestag verabschiedet heute Stasi-Unterlagen-Gesetz. Aber das Gerangel geht weiter. Große Frage: Wird die Union den Vermittlungsausschuss des Bundesrats anrufen?
BERLIN taz ■ Historiker und Journalisten sollen wieder Stasi-Akten über Personen der Zeitgeschichte einsehen dürfen – auch gegen deren Willen. Dies sieht die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vor, das Rot-Grün heute im Bundestag verabschiedet. Union und FDP wollen dagegen stimmen.
Die Stasi-Akten sind seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts am 8. März fast verschlossen. Damals hatte Exkanzler Helmut Kohl erfolgreich gegen die Herausgabe seiner Stasiakte geklagt. Der damals umstrittene Paragraf 32 wird nun neu gefasst: Stasiakten über Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger dürfen erforscht werden, wenn „keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen“ tangiert sind. Wie die Interessen der Forschung und der Betroffenen im Einzelfall abgewogen werden – das soll die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen entscheiden.
Dagegen wenden sich Union und FDP, die die Einwilligung der Betroffenen verlangen. „Der Opferschutz des Gesetzes geht nicht weit genug“, kritisierte CDU-Innenexperte Hartmut Büttner. Dies ist auch die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob. Die FDP hingegen favorisiert den Vorschlag von Otto Schily (SPD). Anders als seine Fraktion will der Bundesinnenminister festschreiben, dass Informationen gesperrt bleiben, die „unter Verletzung von Grundrechten“ beschafft wurden.
Zwar ist die Novelle im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig, dieser kann jedoch den Vermittlungsausschuss anrufen. Der Bundestag könnte das Votum des Bundesrates überstimmen – allerdings erst fünf Tage nach der Bundestagswahl. Verfassungsrechtlich ist umstritten, ob der alte Bundestag dann noch zusammentreten kann.
Ungewiss ist jedoch, ob der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anruft. Dazu wären alle CDU-regierten Länder notwendig. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) kündigte an, dem rot-grünen Gesetzesvorschlag wahrscheinlich zuzustimmen. Das CDU-regierte Thüringen will die heutige Beratung im Bundestag abwarten.
PHILIPP MÄDER
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen