: Den Lesben keine Genüge getan?
betr.: „CSD an die Medien verkauft“, Leserinbrief von Halina Bendkowski, taz vom 26. 6. 02
Dass die Welt schlecht, die Menschen käuflich sind, haben wir vielleicht schon geahnt: Aber dass die queer community jetzt sogar schon den CSD verkauft, hat erst Halina Bendkowski schonungslos aufgedeckt. […] Halina entlarvt ein einziges großes Komplott: Wir Schwulen putzen uns auf, exhibitionieren unsere corpora bis oder über die genitale Schamgrenze, treiben einen Nacktheitskult, dem dann wohl auch einige Frauen erlegen sind, und monopolisieren die Kamerablicke auf just diese Facetten der CSD-Parade. Und für die Lesben bleibt nur ein Seitenblick auf deren Makel (welche eigentlich?) – sind also nur die züchtig verhüllten Frauen Lesben, nicht auch diejenigen, die ebenfalls Freude daran entwickelt, sich freizügiger und unverkrampfter zu präsentieren?
Sicherlich hätten z. B. auch wir Schwusos es schön gefunden, wenn uns die CSD-Reportage mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Indes ist es in einer begrenzten Sendezeit nicht vermeidbar, dass ausgewählt werden muss. […] Es ist das Recht (und die Pflicht) der Regie, das Gesamtbild einer inhaltlich so differenzierten Parade nach dem (immer auch subjektiven) Gesamteindruck zu zeichnen und dabei im Auge zu behalten, dass Aufmerksamkeitswert und ästhetischer Glanz die Zuschauer bei der Stange halten.
Für das Gros der Community wie der daran interessierten Öffentlichkeit überwiegt die (auch, aber nicht nur voyeuristische) Freude am Bunten, Schrillen, Queeren: Der CSD wird von den meisten eben auch als eine Fun-Veranstaltung gesehen, und da sollten wir weniger an Möllemann denken als daran, dass fröhlich, unverkrampft, frech, offensiv und sehr, sehr bunt queere Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit betrieben wird. Wer in die Kamera kommen will, muss dem Rechnung tragen, sich mehr oder weniger diesem Grundverständnis anpassen. Die reine Lehre einer noch so schönen Botschaft wird ignoriert, wenn sie nicht in den jeweiligen Kontext eingefügt präsentiert wird. Insofern müssen die sich benachteiligt Fühlenden immer erst einmal an die eigene Nase fassen, diese Spielregeln unserer Medien nicht ausreichend beachtet zu haben. Denn diese Medien sind ein wesentlicher Mitspieler in unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, die wir keinesfalls als „Geschlechterdemokratie“ an Agentinnen oder Agenten von Blaublütigen verkaufen (oder von ihnen kaufen).
CHRISTOPH SCHUKE, Schwuso-Vorsitzender Frankfurt/Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen