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Nach dem Müll-Clash

Nicht moralisierend, sondern auf den ersten Blick schön bunt: Ironisch kontextualisierende Werke der jungen Generation präsentiert der Kunstverein in seiner Ausstellung „Zusammenhänge herstellen“

von PETRA SCHELLEN

Das Dock lesen. Langsam Gedankenfetzen zusammenstoppeln: „Die Behälter erlöschen to sea.“ Bilinguale, poetisch-profane Sequenzen zieren den Leinenstreifen von Helen Mirra in der Kunstverein-Ausstellung „Zusammenhänge herstellen“, die zwölf Künstler, geboren in den 60ern und 70ern, präsentiert. Die Rezeption kontextueller Ansätze der 90er Jahre will die Schau prüfen, deren Teilnehmer soziokulturelle Themen mit Fragen der Präsentation verbinden.

Zur Dauerinstallation soll etwa die Uhr werden, die Jan Timme an die Scheibe des Treppenhauses montiert hat. Ihr Zifferblatt ist spiegelverkehrt und nur von außen korrekt zu lesen. Vielleicht ein Hinweis aufs Antiuniversum, vielleicht aber auch Korrespondenz mit zwei Außen-Uhren: Die Uhr guckt die Uhr an, Zeit kommuniziert mit sich selbst. Mögliches Resultat: eine hermetisch dichte Interaktion der Zeitmesser. Uhren riegeln sich gegen den Fortgang der Zeit ab. Versuchen die Minuten stauen, indem sie einander Echo sind, selbstreferentiell. Doch der Mensch kommt ins Bild – im Treppensteiger-Piktogramm draußen am U-Bahn-Schacht. Eine Korrespondenz zum Betrachter, der die Kunstvereins-Treppe gerade hinaufstieg.

Wie kann sich Kunst also gegen die Piktogrammwelt behaupten, ist Kommunikation mit den draußen vorgefundenen Bildern die einzige Lösung? Bleibt der Kunst nichts, als sich bei der Alltagswelt anzubiedern, ihre Sprache zu imitieren, um wahrgenommen zu werden?

Fragen, die auf die Osmose künstlerischer und außerkünstlerischer Realität zielen und denen sich auch Simon Starling widmet: Ein „Fiat 126, produziert 1974 in Turin, speziell umgebaut mit in Polen gefertigen Teilen nach einer 1290-Kilometer-Reise nach Cieszyn“ klebt an der Wand. Seit den 70ern in Polen produziert, wurde das Modell als Polski Fiat bekannt. Und abgesehen davon, dass man ständig den Absturz des Getüms fürchtet, offenbart die Installation die Grenzen der Materialisierbarkeit von Erfahrung: Aus dem Kontext gerissen, verliert das Auto jede Reise-Aura und verkommt zum glatt lackierten, pop-beliebigen Kunstobjekt. Und so ist die Methode des Ausstellens – und das beweist Starling mit subtiler Ironie – genauso veraltet wie der Polski Fiat, der inzwischen nicht mehr produziert wird.

Politischer gibt sich Jonathan Horowitz, der Schweine-, Rinder-, Hühner- und Lammporträts zusammengehängt hat, bereichert um Blockhouse-artige Schriftzüge mit der Nahrungsbezeichnung: „Poultry“, „Lamb“, „Beef“, „Pork“. Herzig sind die Fotos, schrillgrün die Plastikrahmen, gefügt zu einer pop-bunten Ahnengalerie. Oder sind es eher Comic-artige hanuta-Bildchen? Starposter eines Pubertierenden? Etliche Assoziationen hält Horowitz bereit und zeigt ganz nebenbei, welche Tier-Individuen die Menschheit durch Fleischverzehr verliert.

Dezent bleibt auch Nina Könnemanns Film: Eine Wiese nach einem Open-Air-Festival mit Papier-, Tüten- und Kleidungsresten, auf der Jugendliche herumspazieren, führt sie vor. Ein bisschen wirken sie wie exotische Tiere, deren geheime Bahnen – aufgenommen nach dem ultimativen Müll-Clash? – nur der Eingeweihte begreift. Verwundert folgt die Künstlerin mit Grzimek-Blick den Schlendernden. Und wer es nicht weiß, bemerkt nicht, dass einzelne Szenen gestellt sind. Doch der Film wird nie schlicht symbolisch: Atmosphärisches steht im Zentrum, jener leichte Anklang an Grass‘ Herbstfeuer, angereichert um die schamanengleichen Bewegungen eines alten Mannes, der Plastikfetzen hin- und herschleudert, als wolle er mit ihnen zaubern.

Direkter kommt die Pult-Installation von Christian Flamm daher, gehalten in Türkisgrün vor ebensolcher Wand. Auf die Kontextualisierung von Kunst verweist der Künstler – auf die Tatsache also, dass Museen ihre Ausstellungen zunehmend um Diskussionen und Vorträge ergänzen. Eine treffende Beobachtung, die über die Kritik am Erklärenmüssen aber nicht hinauskommt. Vertraut wirkt auch die Methode Henrik Olesens, der Zeitungsausschnitte um politische Kommentare ergänzt. Und falls die Blätter nicht methodenkritisch gemeint sind, dienen sie allenfalls als Reminiszenz an vergangene Zeiten. Jedenfalls in diesem Kontext.

Zusammenhänge herstellen: Darren Almond, Christian Flamm, Michael Hakimi, Jonathan Horowitz, Nina Könnemann, Helen Mirra, Henrik Olesen, Anri Sala, Simon Starling, Frances Stark, Jan Timme, Silke Wagner. Kunstverein, Di–So11–18, Do bis 21 Uhr; bis 25. August

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