: Desperately seeking Blohm
Voss auf einer Odyssee durch unerforschte Räume. Zwischen 3.000 Menschen auf 4.500 Speicher-XI-Quadratmetern fand er ihn schließlich: Seinen Freund Dr. Blohm, umgeben von in Planschbecken schwimmenden Kerzen. Auch Fläschchen mit Hafenwasser zitierten die maritime Vergangenheit
In einem Labyrinth aus Plastikfolien, auf denen nicht selten das Wort „Liebe“ steht, manches Mal auch „Sex“ und Sentenzen zum Thema Licht, finden wir Voss: ein Bier in der Hand, unsteter Blick. Er hat sich verlaufen. Er ist allein. Seine Eintrittskarte hat die Nummer 2.134. Eine der Karten davor muss Blohm gehören. Irgendwo in diesem Speicher muss er sein.
Gast: Dies ist eine Nacht, um die bösen Geister zu vertreiben ...
Voss: Sie sind ja ein Lustiger. Haben sie zufällig schon einen älteren Geist mit leichtem Wiener Akzent vertrieben?
Gast: Ich hoffe, ich muss das nicht verstehen.
Voss: Nehmen Sie es wie ein Stück Kunst.
Gast: Noch so ein gewöhnlicher Mensch. Entschuldigen Sie mich, ich muss fort.
Voss (ihm hinterherrufend): Licht, das den Wind fängt. Netze aus Licht, in denen sich unsere Träume spiegeln und erleben. Erklären Sie mir das!
Über Rampen und Treppen durchstreift Voss den alten Speicher XI, immer auf der Suche nach Blohm ... Dr. Blohm.
Voss: Haben Sie einen älteren Geist mit gestelztem Auftreten gesehen?
Besucherin: Ich bitte Sie, erstens gibt es davon hier ein bis zwei Dutzend, und zweitens ... Ist der Mann wichtig?
Voss: Wichtig wofür?!
Besucherin: Eine wichtige Frage.
Voss: Aber nur eine Frage. Was spielen sie dort drüben?
Besucherin: Urban Jazz Groove, und sie haben eigens einen aus London angeschafft, der Platten auflegt.
Voss: Wirklich urban. Hätte das nicht jemand aus Bremen ebenso gut tun können?
Besucherin: Vielleicht Ihr älterer Geist ...
Voss: Ein paar alkoholische Getränke wird er aufgelegt haben, sonst nichts. Darin ist er immerhin Meister.
Besucherin: Das hilft nicht weiter. Wäre er ein Freund von Bratwürsten, könnten wir ihn sicherlich am einzigen Imbiss vor Ort auftreiben. Alles andere wird schwierig. Ein Ort, der gewissermaßen nicht kartographiert ist, wie dieser, der morgen schon eine Kunsthochschule oder ein ähnlich unsexy Raum sein könnte ...
Voss: Die Poesie dieses Augenblicks gehört nur Ihnen und mir.
Besucherin: Und den dreitausend anderen Menschen, von denen einer ... Wir heißt eigentlich ihr Geist?
Voss: Blohm. Doktor Blohm.
Besucherin: Kommt mir bekannt vor.
Voss: Wohl aus einem anderen Hafen.
Besucherin: Wo Sie davon sprechen. Was wohl aus dem Straßenstrich wird, wenn hier erst Studenten hausen? Vorhin war dort ja schon noch ... wie sagt man? Verkehr...
Voss: Die alte Hafenromantik ist nicht mehr. Die Ausstaffierung jeder Ecke mit Sesseln, Fernsehern und Planschbecken mit schwimmenden Kerzen ist die Zähmung dessen, was vorher war. Wahrscheinlich hatte er Recht ...
Besucherin: Wer?
Voss: So ein seltsamer Vogel, der mir zuraunte, es sei hier eine Geisteraustreibung.
Blohm (aus einer Menschentraube gegen Voss und die Besucherin gedrängt): Geisteraustreibung? Ich bin dabei.
Voss: Sie haben schon begonnen, wenn ich Sie so anschaue.
Besucherin: Sie müssen Blohm sein.
Blohm: In der Tat. Aber am Ende der Nacht will ich davon nichts mehr wissen. Ich spüre, es ist nicht irgendeine Nacht. Hier treffen sich Vergangenheit und Zukunft, um sich auf halber Strecke endlich einmal so richtig die Kante zu geben.
Voss: Und wer sind all die anderen Leute?
Blohm: Staffage, Komparsen. Die Hauptfigur ist der Raum.
Besucherin: Ich habe den Verdacht, Sie beide sind einer dieser Walking Acts, die das Junge Theater unters Volk gemischt haben soll.
Blohm: Nicht nötig, genug Selbstdarsteller vor Ort. Mir wäre es genug, hätte man den Speicher geöffnet, ein wenig ausgeleuchtet, Musik darin laufen lassen und allen Bescheid gegeben.
Voss: Freuen Sie sich denn gar nicht? Über die quecksilbrigen Labyrinthe, über lehrreiches Filmmaterial zur Geschichte des Gebäudes? Über flatternde Vögel über einem verschmutzten Tisch, über kleine Fläschchen mit Wasser aus dem Überseehafen?
Blohm und Voss taumeln versonnen im Sog der Menge, die sie alsbald verschluckt
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