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Hongkong schreibt jetzt rote Zahlen

Fünf Jahre nach der Rückgabe an China ist in der einstigen Kronkolonie die Stimmung gedrückt. Die Metropole verliert ihre Sonderstellung und wird wirtschaftlich immer unattraktiver, während im preiswerteren China der Boom anhält

aus Hongkong GEORG BLUME

Geht man nach dem vom neoliberalen Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman begründeten „Weltbericht über wirtschaftliche Freiheit“, dann ist die einstige Kronkolonie Hongkong heute genauso wie vor fünf Jahren die freieste Wirtschaft der Welt – und in der Hafenmetropole am Perlflussdelta hat sich unter chinesischer Führung nichts geändert. Doch hört man auf die Hongkonger Demonstranten, die sich gestern aus Anlass des fünfjährigen Jubiläums der Rückgabe ihrer Stadt an China mit roter Farbe bespritzten, dann ist Hongkong heute Teil eines düsteren kommunistischen Reiches. „Tritt zurück, Jiang Zemin!“, schrien die Demonstranten, die mit ihrer Aktion an die Opfer der Studentenrevolte auf dem Tiananmenplatz in Peking vor 13 Jahren erinnern wollten.

Hongkongs Wirklichkeit liegt irgendwo zwischen diesen extremen Wahrnehmungen. Allein dass hier Demonstrationen gegen Partei- und Staatschef Jiang Zemin stattfinden, ist in der Volksrepublik einmalig („Ein Land – zwei Systeme“). Nur bedeutet das nicht, dass die Stimmen der Hongkonger Bürger mehr Gewicht haben als andere. So besuchte Jiang gestern die Sonderverwaltungsregion, um Tung Chee-hwa, Hongkongs unpopulären Regierungschef, für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren zu vereidigen. Tung darf seine Arbeit fortführen, obwohl laut Umfragen 65 Prozent der Hongkonger mit ihm unzufrieden sind. Doch bestimmt eben nicht die Wählerschaft der Stadt, sondern der Parteichef in Peking, wer Hongkong regiert. Und Jiang ist mit Tung zufrieden, solange er ihm keinen Ärger macht.

Tatsächlich verhalten sich die Hongkonger unter Chinas Herrschaft ruhig. Politik scheint sie nicht zu interessieren. Nur 400 Menschen demonstrierten gestern – obwohl man wenige Tage zuvor die größte Regierungsreform in Hongkong seit den 70er-Jahren bekannt gegeben hatte. Von nun an wird nicht mehr nur ein Regierungschef von Peking ernannt (früher wählte ihn das Londoner Parlament), sondern außerdem noch 14 Minister. Damit soll Tung nicht mehr allein im Rampenlicht stehen und die Kritik auf sich ziehen.

Die Hongkonger Tageszeitung Apple Daily aber befürchtet, dass so die Integrität des von den Briten hinterlassenen professionellen und KP-unabhängigen Beamtenapparats untergraben wird. „Das neue Regierungssystem wird unseren Behörden einen schweren Schlag versetzen und das Leben der Bevölkerung ändern“, schreibt Apple Daily. „Die politische Macht ist von nun an in Peking konzentriert.“

Gegen die Sicht der Zeitung spricht, dass Peking zurzeit gar kein Interesse hat, für die Lage in Hongkong verantwortlich gehalten zu werden. Denn der Stadt geht es wirtschaftlich schlechter, als auch der größte Pessimist vor fünf Jahren annehmen konnte.

Seit über einem Jahr herrscht Nullwachstum, die Arbeitslosigkeit ist im Juni auf die Rekordhöhe von 7,4 Prozent geklettert, die Immobilienpreise dümpeln auf der Hälfte ihres Niveaus vor fünf Jahren. Das ist es, was die Hongkonger heute wirklich beschäftigt: Ihre wirtschaftliche Zukunft scheint plötzlich ungewiss. Dabei herrscht in den volksrepublikanischen Nachbarprovinzen nach wie vor Goldgräberstimmung bei zweistelligen Wachstumsraten. Doch genau das ist der Grund für die Hongkonger Krise: Westliche Manager fahren heute nicht mehr über Hongkong nach Guangzhou oder Schanghai, sondern direkt dorthin. Schon hat Hongkong seine einstige Funktion als „Chinas Tor zur Welt“ verloren. Insbesondere der Hongkonger Hafen verliert an Bedeutung, je mehr sich andere Häfen der Region zur Welt öffnen. Hongkong bleiben dann nur noch das moderne Finanzgeschäft und der Tourismus.

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