: Finger am Trigger
Hat Old Willie Nelson das Interesse am Country verloren? Beim Berlin-Konzert kam Honky-Tonk-Seligkeit kaum auf
Willie Nelson wird auch der Sinatra der Countrymusic genannt, außerdem gilt er als Country-Ikone, Country-Legende und Country-Veteran. Warum nicht? Schließlich ist der alte Mann mit der markanten Erscheinung schon 69 Jahre alt, schließlich trägt er die grauen Zöpfe unter dem Stirnband immer noch hüftlang. Der bekennende Marihuanaraucher mit der näselnden Stimme brachte über 100 Alben heraus und schrieb Lieder für Roy Orbison und Patsy Cline. Vor allem besticht Willie Nelson aber durch sein Image, einer einzigartigen Mischung aus Cowboy, Hippie und Indianer, US-Patriot und Country-Outlaw. Noch immer macht er neue Platten, und alle zwei Jahre kommt er auf Tournee nach Deutschland.
1985 rief Nelson das erste, später jährlich stattfindende „Farm Aid“, ein großes Benefizkonzert zugunsten der amerikanischen „Family Farms“, ins Leben. Kollegen wie Bob Dylan, Neil Young, Johnny Cash, aber auch Beck traten dort auf, um die Kleinbauernbetriebe, die unter Missernten, Verschuldung und dem Zinsdruck der Banken besonders litten, zu unterstützen. Zum letzten Mal konnte man Nelson bei „A Tribute to Heroes“ sehen. Alle Showgrößen und Musikgrößen hatten sich live, aber ohne Publikum zu einem Konzert für die Opfer der Anschläge des 11. September versammelt. Pathetisch wurde es, als zum Schluss alle zusammen unter Nelsons Leitung „America the beautiful“ sangen.
Der deutsche Countryfan an sich ist ein recht unaufgeregter Konzertgänger. Er ist Amerikafan und kleidet sich und seine bessere Hälfte gerne dem Anlass entsprechend. Also sieht man am Montagabend viele Cowboyhüte, die passenden Stiefel und karierte Hemden im Berliner Tempodrom. Recht behäbig geht es auch auf der Bühne zu. Die Männer an Bass und Gitarre spielen brav ihre Instrumente, der Schlagzeuger streichelt sein Gerät nur sanft mit dem Besen, das Piano klimpert dazu.
Willie Nelson ist natürlich an der akustischen Gitarre, seiner uralten, antik abgegriffenen „Martin“, die angeblich ein Einschussloch hat und von ihm zärtlich „Trigger“ genannt wird. Hits aus mehreren Jahrzehnten ertönen : „Mamas don’t let your babys grow to cowboys“, „Georgia on my mind“, viele andere folgten. Allerdings auch „Bobbie McGee“ und einige ewig lange Instrumentals, die an die Begleitmusik zur „Ziehung der Lottozahlen“ oder die Melodie zur „Trimm Trab“-Werbung aus den 70ern erinnern. Es geht um blaue Augen in der Dämmerung, um Abschiede, um Frauen, die weggehen, Erinnerungen, die bleiben, Männer, die bleiben wollen, aber dann doch weggehen müssen, weil Veränderungen anstehen, Frauen, die Lichter entzünden in Männern, die immer wieder morgens aufwachen und dort stehen, wo die Highways sich kreuzen; das alles untermalt von musikalischen Belanglosigkeiten und seichtem Country-Pop. Dabei führt Nelson seine recht originelle, von Django Reinhardt inspirierte Gitarrentechnik vor. Sein leichthändiger Stil und manches Kunststück werden vom Publikum wie die Kür eines Kunstturners brav bejubelt. Schon nach dem dritten Lied ist aber doch recht vorhersehbar, wo die Solos landen.
Den Tiefpunkt des Abends markieren die Stücke der neuesten Platte „The great Divide“, aber auch der Bluesteil des Konzerts hat Längen. Als „Let the circle be unbroken“ heruntergespielt wird, kommt wenigstens leichte Honky-Tonk-Seligkeit auf. Ein kleines Häuflein formiert sich zum Cowboytanz, einzelne Pärchen versuchen sich spontan im Squaredance. Bei „On the road again“ reißen die Männer ihre Arme hoch und legen die Bierbäuche unter der Amerikafahne auf dem T-Shirt frei. Die Musiker auf der Bühne hingegen sind so ruhig, dass sie einzuschlafen drohen. Nur Willie hat ein waches Auge auf sein Publikum, verschenkt sein Stirnband, nimmt Präsente entgegen. Spannung aber kommt keine auf: Nie klingen die Gitarren gefährlich, nie werden die Liebeslieder wirklich euphorisch oder wirklich bitter. Trotzdem spielt die Band immer weiter, erfüllt das Klischee von Country als seichter, leicht ranziger Männerangelegenheit.
„Mit dem Alter fängt man an, sich für Countrymusic zu interessieren“, heißt es in einem Stück der Schweizer Band „Die Aeronauten“. Vielleicht verhält es sich genau umgekehrt. Willie Nelson, so heißt es, spielt seit Jahren vor allem Golf. CHRISTIANE RÖSINGER
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