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Begabung plus Disziplin und Fleiß

Die Pisa-Debatte hat ein überkommenes Konzept von Bildung wieder gesellschaftsfähig gemacht. Die Union verteidigt erfolgreich ihr Schichtenmodell: Aufs Gymnasium nur die Kinder von Gymnasiasten. Pisa-Forscher verweisen vergeblich darauf, dass das nicht das Ziel einer modernen Schule sein kann

von CHRISTIAN FÜLLER

Schöner hätte es der Kanzlerkandidat der Union nicht sagen können. Als Edmund Stoiber (CSU) als Triumphator guter Schulen in der Bundespressekonferenz einzog, markierte er mit diesem Satz den Unterschied zwischen Bayern und dem Rest der Republik: „Für uns beginnt der Mensch nicht erst beim Abitur.“

Stoiber wollte, assistiert von seiner Kompetenzfrau für Bildung, der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU), damit von der sehr kleinen Abiturquote in Bayern ablenken. In dem Südstaat erlangen nur knapp 20 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass das zu wenig sei.

Annette Schavan macht es geradezu aggressiv, wenn Bulmahn auf die geringe bayerische Abiquote hinweist. Die Bildungsministerin sei, schimpft Schavan, „der einzige Mensch in Deutschland, der das Nord-Süd-Gefälle in der Bildungspolitik nicht wahrnimmt“. Stoibers Kompetenzfrau richtet damit den Zeigefinger lieber darauf, dass die – nördlichen – SPD-Länder bei Pisa so viel schlechter abgeschnitten hätten als der unionsregierte Süden.

Da kann ihr in dieser Allgemeinheit niemand widersprechen. Die Leseleistungen der Schüler in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen waren durchgehend besser als die aller anderen Bundesländer. Bayern konnte gar mit Schweden mithalten und lag über dem OECD-Durchschnitt des internationalen Pisa-Vergleichs. In der Nach-Pisa-Dikussion ist dieser Fakt unumstritten: Die Leseleistung, grob gesprochen, der Südländer ist besser. Und es gibt noch einen zweiten wichtigen Punkt: Auch der Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Leseleistung ist bei den Unionsländern besser. Das wurmt vor allem die SPD, die immer dachte, soziale Gerechtigkeit sei ihre Domäne.

Dennoch werden Bildungsforscher wie der Pisa-Chef der OECD, Andreas Schleicher, oder der Essener Bildungsökonom Klaus Klemm nicht müde, auf einen anderen Punkt hinzuweisen: die soziale Determinierung, die vor allem an bayerischen Gymnasien besteht. Dort haben Kinder aus Akademikerhaushalten im Vergleich mit Kids von Facharbeitern eine zehnmal größere Chance, das Abitur abzulegen.

Die Pisa-Experten fragen, ob es eine aufgeklärte Gesellschaft eigentlich zulassen kann, dass Kinder aus bestimmten Ständen systematisch wieder in diese Stände hineinqualifiziert werden; denn eigentlich sollte das doch ein längst überwundenes Schichtenmodell sein.

In den ersten Tagen nach Pisa ging kaum jemand aus den Unionsländern auf dieses Argument ein. Inzwischen ist das anders. Die Alternative zur Chancengerechtigkeit wird benannt: Bayern, sagt etwa Annette Schavan, habe zwar eine kleinere Abiquote – dafür zähle dort die duale Ausbildung, sprich die Lehre, noch etwas. Und zudem gebe es viele Facharbeiter, die ihren Meister machen.

Edmund Stoiber formuliert sehr genau, was er unter Chancengerechtigkeit versteht. „Alle Kinder sollen die bestmöglichen Bildungschancen haben“, sagt er und meint: entsprechend ihrer Begabung. Und das Folgende ist dann die südliche Kombination von Bildungschancen: Begabung plus „Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Leistungsbereitschaft“ (Stoiber). Wer hätte gedacht, dass diese überkommene Sicht die beinahe allgemein anerkannte Quintessenz der Pisa-Debatte sein würde?

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