: Grünen-Stiftung gegen Schulpflicht
Die Heinrich-Böll-Stiftung schlägt ein neues Verhältnis zwischen Staat und Schülern vor: An die Stelle der Schulpflicht soll das Recht auf Unterricht treten – indem Eltern mit Schulen Verträge vereinbaren. Den Grünen im Bundestag geht das zu weit
von CHRISTIAN FÜLLER
Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung hat gestern einen Aufsehen erregenden Beschluss zur Bildungspolitik nach Pisa veröffentlicht. In ihrer neuesten Bildungsstudie schlagen die Gutachter der Stiftung vor, die Schulpflicht zu ersetzen. „Statt der bestehenden Schulpflicht soll das Recht auf Unterricht garantiert werden“, heißt es in dem Papier. Die Leiterin der Böll-Bildungskommission, Sybille Volkholz, sagte, so sollten die Rechte der Bürger gestärkt werden.
Der Vorschlag der Bildungskommission ist Teil eines Papiers, das eine erweiterte Autonomie von Schule als zentrales Reformvorhaben beschreibt. Schulen müssten endlich auch eigenständig über ihr finanzielles Budget oder die Einstellung von Personal entscheiden können. Das forderte der Leiter des Deutschen Jugendinstituts in München, Ingo Richter, der auch den Wegfall der Schulpflicht guthieß. Der Jurist erarbeitete für die Böll-Stiftung ein Vertragsmodell, das die Schulpflicht ersetzen könne.
Die Schulpflicht besteht in Deutschland seit 1871, in einigen Regionen gab es sie schon früher. Sie wurde, etwa vom Reformer Bayerns im 19. Jahrhundert, Freiherr von Montgelas, damit begründet, der „krassen Unwissenheit der Bevölkerung“ entgegenzutreten. Ironischerweise ließe sich das Argument auch heutzutage nach der Pisa-Studie gegen die Abschaffung der Schulpflicht anführen. Wie soll man bildungsferne Schichten an die Schule heranführen, wenn der Staat die Kinder nicht mehr zum Schulbesuch verpflichtet? Pisa ergab, dass in Deutschland rund einem Viertel der 15-Jährigen elementare Kompetenzen fehlen, in manchen Bundesländern sind es über 30 Prozent.
Der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag relativierte den Vorschlag der Böll-Bildungskommission. „Ein Recht auf Unterricht kann nicht an die Stelle der Schulpflicht treten“, sagte Reinhard Loske der taz, „das ist ein bisschen idealisierend gedacht.“ Loske begrüßte den Vorschlag als wichtigen Denkanstoß und lobte den Ansatz des Böll-Papiers, Schulen zu mehr Unabhängigkeit zu verhelfen.
Ingo Richter beharrte darauf, dass mit einem Bildungsvertrag zwischen Schulen und Eltern gerade schwierige Jugendliche sehr gut erreicht werden könnten. „Die Jugendlichen wissen viel besser, was ein Vertrag ist, als wir denken“, sagte Richter, der für die Böll-Stiftung ein entsprechendes Vertragsmodell erarbeitet hat. Darin wären die Rechte von Schülern gegenüber der Schule konkret beschrieben. Würden bestimmte vertraglich vereinbarte Bildungsziele von der Schule nicht erfüllt, müsste die Schule ihren Pflichten etwa durch die Gewährung von Nachhilfe nachkommen.
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