Verbitterung über Ignoranz

In Polen hat die Debatte um das geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“ heftige Reaktionen ausgelöst. Beklagt wird die Ignoranz gegenüber der Vertreibung der Polen

WARSCHAU taz ■ „Wird Stoiber einen Krieg beginnen, wenn er im September die Wahlen gewinnt? Wird Deutschland wieder in Polen einmarschieren, um Schlesien, Ostpreußen und Pommern zurückzuerobern?“ Diese Fragen spiegeln Ängste wider, die in Polen alle vier Jahre hochkommen – jedes Mal, wenn in Deutschland Wahlkampf ist. Vor vier Jahren musste die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) nach Warschau reisen und die Gemüter wieder beruhigen. Damals hatten rechtsradikale Vertriebene behauptet, dass das Dritte Reich rechtlich fortbestehe und sie daher die Rückgabe ihrer Häuser verlangen könnten. Als dann auch noch der Bundestag mit den Stimmen von CDU und FDP eine Resolution verabschiedete, in der die Vermögensfrage der Vertriebenen als nach wie vor offen beschrieben wurde, brach in Polen Panik aus.

Nun ist in Deutschland wieder Wahlkampf, und wieder sind es CDU/CSU-Politiker, die im Nachbarland Polen für schlechte Stimmung sorgen: Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, und Edmund Stoiber, der CDU/CSU-Kanzlerkandidat. Steinbach plant in Berlin ein deutsches „Zentrum gegen Vertreibungen“. Und Stoiber fordert die Polen auf, vor dem Beitritt zur EU doch bitte seine Rechtsordnung zu entrümpeln und die Vertreibungsdekrete für ungültig zu erklären. Peinlich ist dabei nur, dass der Großteil dieser Dekrete schon unter den Kommunisten abgeschafft wurde.

Diesmal fuhr nicht Rita Süssmuth, sondern Wolfgang Schäuble (CDU) nach Warschau, um die Wogen zu glätten. Es handle sich um ein „Missverständnis“, versuchte er den Polen klar zu machen. Geglaubt hat ihm niemand. Denn das geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“ hat die CDU/CSU ja sogar in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Zudem sollen dort nur die deutschen Opfer der Vertreibung betrauert werden, wie Erika Steinbach unlängst wieder erklärte.

„Willkommen in Danzig“

Die Polen, die sich seit Jahren intensiv mit der Vertreibung der Deutschen auseinander setzen, verbittert es ungemein, dass die Deutschen ihrerseits die Vertreibung der Polen gar nicht zur Kenntnis nehmen. Durch das Potsdamer Abkommen 1945 haben ja nicht nur drei bis vier Millionen Deutsche ihre Heimat in Schlesien, Pommern und Ostpreußen verloren, sondern auch knapp zwei Millionen Polen in den polnischen Ostgebieten. Die Heimat dieser Polen liegt heute in Litauen, Weißrussland und der Ukraine. Niemals aber hat auch nur ein deutscher Politiker oder Vertriebenenfunktionär Mitgefühl mit den polnischen Vertriebenen gezeigt.

In Breslau/Wrocław wohnen heute die Lemberger Polen. Sie haben sich längst mit der deutschen Vergangenheit ihrer neuen Heimatstadt ausgesöhnt und sie angenommen. Im Rathaus von Wrocław hängen die Bilder der zwölf deutschen Nobelpreisträger dieser Stadt. Vor wenigen Wochen fand in Gdańsk/Danzig das Welttreffen der Danziger statt. Die Stadt begrüßte die einst Vertriebenen mit großen Transparenten: „Seid willkommen, zurück in Danzig“.

In Frombork/Frauenburg wurde ein Denkmal für die Vertriebenen errichtet, überall in Schlesien, Pommern und Ostpreußen werden Straßen nach berühmten Deutschen umbenannt. Die Deutschen aber weigern sich, das überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen. Nicht einmal über den polnischen Vorschlag, das „Zentrum gegen Vertreibungen“ doch im schlesischen Breslau zu errichten, wollen sie diskutieren. Und so ist es kein Wunder, dass die Krakauer katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny auf ihrer Titelseite fordert: „Stoppt Stoiber!“

GABRIELE LESSER