: Gewaltige Erfolge
Drogenhilfe und Einwohnerverein: Schills repressiver Kurs verschlechtert die Lage in St. Georg dramatisch. Die Polizei dürfe das Problem nicht öffentlich benennen
Wenn Michael Joho nach Hause kommt, sieht er sie, jeden Tag: Drogenabhängige, die durch die Straßen hetzen, die öffentlich konsumieren, verelendet, krank, oft auch agressiv. „Und dann lese ich in Bild und Hamburger Abendblatt: Großer Erfolg des Senates gegen die Drogenszene“, ärgert sich der Vorsitzende des Einwohnervereins St. Georg. Eine „bewusste Lüge“ nennt das Norbert Dworsky von der Hilfseinrichtung freiraum. Um diese zu entlarven, schlugen gestern Drogenhilfe und Einwohnereinvergemeinsam Alarm: Der repressive Kurs von Innensenator Ronald Schill gefährde KonsumentInnen und übrige Bevölkerung.
„Alle Hilfe für Süchtige hat der Senat versprochen“, erinnert Nicole Diedrigkeit vom Drob Inn. Aber jetzt hält die Polizei sie von eben dieser Hilfe fern – indem sie genau vor den Einrichtungen massiv auf Drogen kontrolliere und Platzverweise ausspreche. Die Folge: „Die Konsumentinnen kommen seltener, sind für uns schlechter erreichbar“, berichtet Mario Peixoto von Ragazza.
Kurzfristig bedeutet weniger Konsum im Druckraum mehr Konsum auf öffentlichen Plätzen. Fast gravierender sind die langfristigen Folgen: Denn der Schritt in die niedrigschwelligen akzeptierenden Angebote kann der erste in den Ausstieg sein. „Verbaut man diesen, verbaut man auch die folgenden Schritte“, so Diedrigkeit.
Besonder hart trifft es junge drogenabhängige Mädchen: „Die haben Panik, dass die Polizei sie zurück ins Elternhaus bringt“, berichtet Anke Mohnert vom Café Sperrgebiet, „denn dort ist es nicht selten für sie lebensgefährlich“. So haben Pädophile ein leichtes Spiel, die den Mädchen Unterkunft anbieten und sie dann dort festhalten. Aber auch innerhalb der Szene bekommen Frauen den stärkeren Druck besonders zu spüren: Ruth Lobeck, Ärztin bei Ragazza, konstatiert bei ihren Patientinnen deutlich mehr Spuren von Gewalt – Würgemale und Blutergüsse –, seit Schill seinen Kurs durchsetzt.
„Die Polizei sieht diese Effekte durchaus“, sagt Joho, „und unter vier Augen geben sie auch zu, dass sich das Problem nur vom Hauptbahnhof in die Wohnstraßen verlagert hat.“ Sogar bei dem von Schill neu eingesetzten Leiter der Wache St. Georg, Thieß Rohwedder, gebe es in dieser Hinsicht einen „schnellen Erkenntnisprozess“. Aber öffentlich dürfe die Basis nichts sagen, ihre zahlreichen Meldungen an die Behördenleitung blieben ohne Resonanz.
Schills Parteikollege und Gesundheitssenator Peter Rehaag „macht sich immerhin die Mühe, sich die Sache mal anzuschauen und Argumente zu hören“, sagt Dworsky. Zum Beispiel, dass es den angeblichen Gegensatz zwischen akzeptierender und ausstiegsorientierter Drogenarbeit nicht gebe: „Wir arbeiten immer schon ausstiegsorientiert – mit den Leuten, die dazu in der Lage sind.“ HEIKE DIERBACH
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