piwik no script img

berliner szenen Verfolgungswahn

Das Auguste-Syndrom

Hilfe! Ich werde verfolgt. Ein Fräulein mit schmutzigem Schlüpfer und verrutschten Strumpfbändern, zerzausten Haaren und verbeulten Waden keucht mir auf dem Bordstein gegenüber entgegen. Das wirre Wesen schaut mich an. Ich renne los. Mit mir laufen andere. Zehn Menschen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Alle in ein und dieselbe Richtung. Die Herrschaften Unter den Linden grübeln angesichts der munteren Rennerei. Ich flüchte in die Commerzbank. Puh. In Sicherheit.

Manche wollen mir Verfolgungswahn unterstellen. Die haben keine Ahnung. Den besten Beweis hab ich jetzt extra aufgehoben – als zerknitterte Eintrittskarte in meiner schicken Täglich-Tasche. Denn kaum bin ich einen Tag in Berlin, les ich im Kleingedruckten über eine Fallstudie im „Theater im Palais“. Oh weh: „Das Auguste-System“, ein Stück nach dem Schwitters’schen Trantext der „Auguste Bolte“ und deren absurder Verfolgungsjagd. Dieselbe hatte erneut ihren Lauf genommen. Auguste Bolte hatte mich wieder erwischt, eingeholt, am Schlawittchen gepackt. Sieben Jahre geht das jetzt schon so. Angefangen mit einer gewissen Anna Blume, einem Frauenzimmer, das auf den Händen gehen kann.

Jene Auguste hat für die Zeit eines kurzen Gastspiels besagtes Theater in Mitte in Beschlag genommen und Schauspieler Volker Ranisch dazu bewogen, ihre Geschichte zu erzählen.

Ja, ja. Ich bin hingegangen. Zehn Menschen sind mit mir hingerannt. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Da musste was los sein. Wenn zehn Menschen in die gleiche Richtung laufen! Verfolgt werde ich immer noch. Kurt Schwitters sei Dank.

OLIVER RUF

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen