: Drastische Fühllosigkeit
Marius von Maienburgs Aufführung „Parasiten“ im Amerikahaus hat am Ende die eigene Abgründigkeit nicht ertragen – und mit einem schönen Song zugekleistert
von ANNETTE STIEKELE
Die „Losigkeit“ bleibt das beherrschende Thema beim diesjährigen Festival junger Regisseure und Schauspieler „Die Wüste lebt!“. In Marius von Mayenburgs Theaterstück Parasiten, vor zwei Jahren uraufgeführt im Hamburger Schauspielhaus, ist es eine besonders drastische Fühllosigkeit der Figuren, die für zwei Paare in einem irdischen Vorhof zur Hölle mündet.
Auch wenn der Autor vermieden hat, es hineinzuschreiben, man könnte Parasiten als Milieustück lesen. Versucht es doch, sich in seinem knallharten Realismus in die Tradition der neuen britischen Sozialdramen einzufügen. Doch die junge Schweizer Regisseurin Hannah Steffen hat das drastische Werk in einer bürgerlichen Mittelschicht angesiedelt. Christoph Hetzer hat dazu eine realistische Wohnung auf die Bühne des Amerikahauses gestellt, Ledersofa, gläserner Couchtisch, alles gewürzt mit einer deftigen Prise Retroschick.
Nach den ersten Dialogen liegen die parasitären Beziehungen offen vor uns. Abgewirtschaftete Gefühle eines Verliererhaufens, der mit Müh und Not seine Existenz aufrecht erhält. Viel mehr ist es nicht. In der Beziehung von Friderike (Pilu Lydlow) und Petrik (Samuel Zumbühl) regiert der Hass. Sie ist schwanger, droht „Ich spring aus dem Fenster!“, darauf er lapidar: „Da kannst du gleich den Müll mitnehmen.“ Hier ist nurmehr ein Bodensatz an gegenseitiger Grausamkeit übrig. Auf der Flucht vor Gewalt und Lieblosigkeit landet Friderike in den nicht weniger komplizierten Verhältnissen ihrer jahrelang vernachlässigten Schwester Betsi. Die opfert sich für den verunglückten Rollstuhlfahrer Ringo (David Allers) auf. Den ganzen Tag rollt er ihr unerbittlich hinterher, macht selbst vor dem Badezimmer kaum Halt.
Mit herrlich überdrehtem Spiel und einer gehörigen Prise Selbstironie verkörpert Johanna Bantzer die Krankenschwester, deren Engelsgeduld auf eine harte Probe gestellt wird. Ihr Ringo ist ein echtes Ekel und benutzt sie mit kalter Intelligenz. Schwester Friderike, den eigenen elendigen Zuständen entronnen, hat schnell wieder genug Energie, ihren Schwager ordentlich zu piesacken und ihre Schwester zu terrorisieren. Und dann taucht auch noch dauernd der lästige Unglücksfahrer Multscher (Albi Klieber) auf. „Man muss heute einen Menschen halb tot fahren, wenn man ihm begegnen will“, so seine bittere Erkenntnis. Eine traurige Jammergestalt, steht er vor der Tür, ein verwahrloster alter Mann mit Kassenbrille und wirren Haaren. Er wird die Schuld nicht los, sie rollt durch seine Gedanken und so muss er sich von seinem Opfer noch einen Rest Lebensmut holen.
Mayenburg erzählt all dies in sehr präziser kurzatmiger Sprache. Er zeigt Menschen, denen “das Leben gerissen ist“ und die dabei immer noch ringen. Hannah Steffen und ihr Ensemble haben diese Härte und die abgrundtiefe Trostlosigkeit auf Dauer nicht ausgehalten. Um die Dramatik mit einem Hauch Ironie aufzubrechen, haben sie einige muntere Songs eingeflochten und damit das strenge Korsett des Stückes unnötig irritiert. Peinlich gar, wenn Multscher das Lied vom „Krüppel“ anstimmt oder am Schluss der Werbeslogan „Merci, dass es dich gibt“ erklingt.
Überhaupt der Schluss... Um die Figuren nicht im Abgrund liegen zu lassen, hat Steffen den Schlussmonolog Ringos ausgespart. Das Ende bleibt offen. Unerlöst verharren die Figuren auf dem Niveau ihrer maroden Beziehungslosigkeit. Das Ganze mit einem Song zu übertünchen, erscheint da fast als ein Zeichen von Hilflosigkeit an einem Abend, der vor allem an Schauspielkunst doch einiges an Leben in der Wüste aufblitzen ließ.
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