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Sträfflicher Leiochtsiunn

Vom bitteren Ende eines Nacktförsters aus dem brandenburgischen Wald

Er trug das Adamskostüm, um Touristen und Geld in die gottverlassene Gegend zu locken

„Mach es wie die Eieruhr – zähl die geilen Stunden nur!“ steht auf dem Fußabtreter. Innendrin in der Einzimmerwohnung summt eine betagte Stubenfliege immer rund um die Petroleumkerze, ein Geschenk des Jägerchors Pritzwalk 1904 e. V., und in der Nasszelle tropft der Brausekopf. Es ist still geworden um Joachim Conrad (56), Deutschlands ersten Nacktförster, der 1998 Schlagzeilen machte, als er bei Zippelsförde in der Ruppiner Schweiz im Adamskostüm umging, um Touristen und Geld in die gottverlassene Gegend zu locken (Die Wahrheit berichtete am 5. 10. 1998).

„Die sind ganz verrückt nach mir gewesen alle“, sagt der Exförster heute traurig und bröselt seinem Goldfisch Axel, benannt nach dem bedeutenden deutschen Zeitungsverleger Axel Springer, billiges Weißbrot ins Aquarium. Doch der Fisch reagiert nicht. Er liegt reglos auf dem Boden. Man kann schon die Gräten zählen. Auch scheint das Wasser seit Monaten nicht mehr ausgewechselt worden zu sein. Darauf deuten die Filterzigarettenkippen hin, die in unterschiedlich starken Stadien der Auflösung durch die graubraune Brühe treiben.

„Ganz verrückt, jawohl!“, ruft Joachim Conrad und prescht mit seinem Rollstuhl zum Bücherregal. „Hier, mein Album mit Presseausschnitten! Märkische Allgemeine, Neue Osnabrücker Zeitung, Washingtoner Post, Le Monde diplomatique, Hürriyet, die haben ausführlich über mich berichtet, und dann noch die Fernsehfritzen …“

Wenn man sich so umsieht in Joachim Conrads Bude in den Suburbs von Königs Wusterhausen, drängt sich einem allerdings nicht gerade der Eindruck auf, dass der Mieter jemals eine internationale Berühmtheit gewesen sei.

„War ich ja auch nur kurz“, sagt Joachim Conrad und kriecht auf allen dreien – das linke Bein ist ihm 1999 nach einem Auffahrunfall oberhalb des Kniegelenks amputiert worden – zum Servierwagen, dem er eine halb volle Flasche Sliwowitz entnimmt.

Dann bricht der Rest seiner Geschichte aus ihm heraus. Im Herbst 1998 waren ganze Rudel von Journalisten in Joachim Conrads Waldstück eingedrungen – und auf ihren Spuren statt der erhofften Devisenbringer nur lauter Perverse, die es auf den prominenten Nacktförster persönlich abgesehen hatten. Als sich 1999 mitten in der Mönchsgrasmückenbrutzeit eine FKK-Kolonie im Revier breit machte, musste Joachim Conrad auf Druck des Forstamts seinen „Hut“ nehmen. Eine Zeit lang verdingte er sich als Zusammenschieber von Einkaufswagen bei einer Supermarktkette im Raum Potsdam, wurde aber bald wieder gefeuert, weil er die Einkaufswagen auf Wunsch eines privaten Fernsehsenders einmal spaßeshalber nachts nackt zusammengeschoben hatte.

Seither lebt Joachim Conrad zurückgezogen und enttäuscht von der Welt in Königs Wusterhausen. Doch seine Liebe zur Natur ist nicht verblüht. Vom Heimatverein Zippelsförde ist er im Oktober 2001 als korrespondierendes Ehrenmitglied aufgenommen worden, auch wenn ihn schon damals eine Lähmung der rechten Seite daran hinderte, die freundliche, in Gestalt einer bronzenen Haselnussgerte symbolisierte Ehrung persönlich entgegenzunehmen. Ein Mäzenatenkreis aus mecklenburgischen Förstergehilfen finanzierte dann im Frühjahr 2002 die erforderlich gewordene Bypass-Operation, in deren Verlauf Joachim Conrad jäh verschied. Im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz wird bis heute ein Unterschenkel des legendären Nacktförsters künstlich durchblutet und Medizinstudenten auf Anfrage vorgezeigt.

Das ist das viertbitterste Schicksal für einen Förster. Dass es noch drei bitterere Försterschicksale gibt, kann jedermann dem Lesebuch „Drei bittere Försterschicksale“ entnehmen (hrsg. von Hans-Ulrich Worms, Edition Sprangen, Stuttgart & New York 1964). Kurz vor seinem Tod wollte Rainer Werner Fassbinder dieses Buch mit Harald Juhnke, Bruno Ganz und Hanns Zischler in den Hauptrollen verfilmen, aber dazu ist es, gottlob, nicht mehr gekommen.

Auf dem Hermann-Löns-Gedächtnis-Friedhof bei Elchshof in der Uckermark wurde der Nacktförster gestern in aller Stille zur letzten Ruhe gebettet. Wegen einer Tombola mit Tabledance, Pkw-Versteigerung, Wet-T-Shirt-Power-Contest, Bratwurstverkauf und Lautsprechergebabbel auf dem benachbarten Areal der Autofirma Mühlenkamp fand die Beisetzung leider bei ziemlichem Lärm statt, aber das störte niemanden groß, denn der Pfarrer, der Totengräber und die sterblichen Überreste waren am offenen Grab praktisch unter sich. In den zwölf Meter hohen Grabstein sind infolge einer von Joachim Conrad auf dem Sterbebett geäußerten Anregung die Worte eingemeißelt worden: „Er war ein rechter Jägersmann, trira, trira, peng-peng! Nun liegt er in der Gruft allhie, gar grausig dumpf und eng. Einst ging er nackt als Waidmann um, selbst RTL und Pro 7 interessierten sich vorübergehend für ihn, aber dann ließen ihn alle im Stich, weshalb er schließlich als armer Teufel verblich. Wer an dieses Grab tritt, möge sich vergegenwärtigen: Auch dich wird man eines Tages beerdigen!“

Bedauernswert ist der Umstand, dass sich der verantwortliche Steinmetz mehrfach vermeißelt hat. Statt „Gruft“ steht auf dem Grabstein „Gurft“, das Wort „vorübergehend“ musste er aus Platzgründen zu „vorbghd.“ abkürzen, und das Tuwort „beerdigen“ ist nur zu erraten – auf dem Grabstein steht „beheerdigeuwn“, was vielleicht auf Alkoholeinfluss zurückgeführt werden kann, denn Joachim Conrad hatte der Steinmetzfirma sowie allen Erben und Leichenschmausteilnehmern testamentarisch 300 Liter Rheinwein überlöäßnn. Das war natürlrich sträfflicher Leiochtsiunn. Swlbst schlod, ksnn monn do nurt soughn. Abr ggal. Frierde seinur Aösche! Joachim Conrad wuar ein guiter Mwwnsch.

GERHARD HENSCHEL

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