: „Ich bin der legitime Präsident des Tschad“
Ngarlejy Yorongar, verhinderter Wahlsieger und führender Oppositionspolitiker des Tschad, über Wahlbetrug, Ölboom, US-Interessen und Islamisten
taz: Nach den Präsidentschaftswahlen vom Mai 2001, die Amtsinhaber Idriss Déby gewann, sagten Sie der taz, Sie seien der legitime Präsident des Tschad. Sind Sie immer noch dieser Ansicht?
Ngarlejy Yorongar: Das Volk hat mich zum Präsidenten gewählt, und das bleibe ich. Déby ist ein Usurpator.
Aber Déby ist an der Macht und Sie nicht.
Déby hat die Armee eingesetzt, um die Macht an sich zu reißen, die das Volk mir übertragen hat. Das Volk hat mir sein Vertrauen ausgesprochen.
Die Parlamentswahlen im April 2002 hat Déby auch gewonnen.
Da hat Déby die Armee geholt, um die Wähler zu terrorisieren. Ich habe 54 Kandidaten aufgestellt, davon wurden 24 gewählt, aber die Wahlkommission hat uns nur 12 Sitze zuerkannt – zehn von meiner Partei und zwei von Verbündeten.
Jetzt ist Ihre Partei also die stärkste Oppositionspartei?
Sie ist die stärkste Partei des Tschad.
Und was werden Sie jetzt machen?
Déby von der Macht verjagen!
Wie?
Durch die Wahlurnen!
Aber das ist doch bis jetzt immer schief gegangen.
Weil die Multinationalen Déby an der Macht halten, mit der Komplizenschaft der USA. Wir müssen die Bevölkerung sensibilieren, damit sie sich erhebt wie in Madagaskar. Dort hat das Volk Ravalomanana gewählt und dann an die Macht getragen. Der Fall Madagaskar wird Schule machen. Frankreich hat Ravalomanana am Schluss anerkannt. Warum soll das nicht im Tschad passieren?
Als die Weltbank grünes Licht für den Beginn der Ölsuche im Süden des Tschad gab, warnten Sie, die Jugendlichen der Region könnten zu den Waffen greifen wie in Nigeria. Jetzt hoffen Sie auf Wahlen. Wieso?
Ich habe nie gesagt, dass die Tschader sich mit Waffen verteidigen sollen. Ravalomanana hat in Madagaskar auch über die Wahlurne die Macht ergriffen.
Wie ist denn jetzt die Lage im Süden des Tschad?
In den Ölgebieten werden keine Maßnahmen getroffen, um eine Umweltkatastrophe abzuwenden. Schon jetzt tauchen überall neue Krankheiten auf, Aids breitet sich aus. Ganze Dörfer werden von der Landkarte verschwinden.
Der Staub von den neu gebauten Pisten lässt das Getreide nicht mehr wachsen und das Obst auf den Bäumen nicht mehr reifen.
Ich habe dagegen Klage vor dem zuständigen Gremium der Weltbank eingereicht. Wenn das erfolglos bleibt, werden wir andere Wege einschlagen müssen: eine Klage in Belgien oder vor dem Internationalen Strafgerichtshof.
Déby stiehlt, plündert, massakriert und blutet das Land aus – mit der Komplizenschaft der Weltbank und der internationalen Gemeinschaft. Er denkt, dass er damit die Interessen der Ölfirmen schützt, die jetzt die Pipeline nach Kamerun bauen. Aber was passiert, wenn die Pipeline fertig ist?
Eine Pipeline bauen ist nicht schwer. Öl fördern ist schwieriger. Im Sudan wurde eine Pipeline gebaut, aber die Förderung bereitet Probleme.
Soll die Bevölkerung die Ölförderung verhindern?
Sie kann sie verhindern. Die Ölförderung wird ohne Zustimmung unserer Partei nicht stattfinden. Ich bin der legitime Präsident und das bleibe ich.
Sind Sie gegen die Ölförderung an sich?
Wir wollen, dass die Förderabkommen zwischen der Regierung und dem Ölkonsortium überarbeitet werden. Entwicklung heißt umfassende Entwicklung, aber es ist nicht vorgesehen, dass das Konsortium geteerte Straßen baut.
Entwicklung heißt Nutzung der Reichtümer des Tschad, des fruchtbaren Landes, aber das geschieht nicht. Es ist ein Projekt zur Entwicklung von Armut.
Die US-Ölfirma Chevron führt das Ölkonsortium an. Warum unterstützen die USA die Regierung Déby?
Sie haben ihre Interessen. Sie haben Kontakt zur Regierung des Sudan aufgenommen, obwohl der Sudan auf der US-Terrorliste steht. Sie wollen vielleicht mit Tschad und Sudan den Einfluss Libyens eindämmen. Außerdem ist der Einfluss des islamischen Fundamentalismus im Tschad sehr groß. Bin Laden hat im Süden des Tschad Moscheen mitten im Busch gebaut, und heute ist die Region voll von geflohenen Islamisten aus Afghanistan und Pakistan. Déby lässt sich dafür bezahlen. Sie haben tschadische Pässe und werden aus Ländern wie Nigeria und Kamerun nach Tschad ausgewiesen. So dient die US-Präsenz auch dazu, diese Terroristen im Griff zu haben.
Gibt es US-Militärberater im Tschad?
Es ist möglich. Unter dem Deckmantel des Öls sind viele Amerikaner, Franzosen und Filipinos im Tschad. Außerdem endet das Öl nicht an den Grenzen des Tschad. Es reicht von Libyen über Niger bis Nigeria, Kamerun in die Zentralafrikanische Republik und dann bis in den Sudan hinein.
Wieso bringt das Öl so vielen afrikanischen Ländern politische Instabilität?
Die arabischen Monarchien haben ihre Ölressourcen genutzt, um ihre Länder zu entwickeln. Aber Nigeria, Kamerun, Gabun, Kongo, Angola, Sudan sind alle in einem kläglichen Zustand. Das Ölgeld dient der Bereicherung der Familien der herrschenden Klasse. Tschad wird keine Ausnahme sein. Unter Führung eines gierigen Menschen wie Déby wird es noch schlimmer werden.
INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON
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