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Der Geist, der stets verneint

3sat wagt sich so kühn wie erfolgreich an ein Medium, das auf der Mattscheibe normalerweise nur verlieren kann: „Das Jahrhundert des Theaters“, erste Folge (von sechs) Sonntag, 20.15 Uhr

von ALEXANDER KÜHN

Man wirft sich nicht in Schale, sondern haut sich in den Sessel. Teilt anstatt mit fünfhundert Menschen das Erlebnis mit seiner Frau und einem Bier. Darf den Blick nicht frei schweifen lassen, sondern muss den von der Kamera gewählten Miniausschnitt wählen, mit einem Durchmesser von 37 Zentimetern. Weil sich das alles nicht nur sehr trostlos anhört, sondern es auch ist, schaut sich, von Deutschlehrern mal abgesehen, auch niemand eine Theaterübertragung im Fernsehen an.

Aber ein Stündchen pro Monat, ein homöopathisch winziges Stündchen lang, kann man sich TV-Theater mal antun. Wenn 3sat sich doch so viel Mühe gibt und die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts aufbereitet. Zwei Jahre haben sich Peter von Becker, Theaterkritiker und Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegels, und die Regisseure C. Rainer Ecke und Matthias Schmidt dafür Zeit gelassen, sechs Folgen zu produzieren.

Der Aufwand hat sich gelohnt. Anstatt brav chronologisch ein Ereignis nach dem andern abzuhaken, streift die Dokumentation mit Eleganz und Leichtigkeit durch die Jahrzehnte und Epochen. Blickt zurück, blickt nach vorn. Geht vom deutschen Theater aus, sucht jedoch Analogien oder Gegensätze im Ausland. Beweist freilich Mut zur Lücke, engt aber trotz der knapp bemessenen Zeit den Blick nicht ein auf das Treiben in den Stadt- und Staatstheatern, sondern schaut auf Film, Kabarett, bildende Kunst – und Politik.

Denn Theater spielen Politiker nicht erst, seit Roland Koch im Bundesrat mit der flachen Hand auf dem Tisch rumgehauen hat. „Spiele der Diktaturen“, die zweite Folge der Reihe am kommenden Sonntag, zeigt, wie schauerlich meisterhaft die Nazis nicht nur Kunst politisiert, sondern auch ihre Politik theatralisiert haben. „Ich bin der Geist, der stets verneint“, rezitiert Gustaf Gründgens zu Beginn der Folge den Mephisto-Monolog. Und endet: „So ist doch das, was ihr das Böse nennt, mein eigentliches Element.“ Schnitt: Adolf Hitler ist zu sehen, der oberste Staatsschauspieler. Es folgen Bilder von der kolossalen Inszenierung der Reichsparteitage, ein Aufmarsch von Fackelträgern, die einen hakenkreuzförmigen Weg beschreiten. Dann wieder Hitler, der wild gestukulierend eine Rede hält. Schnitt. Dann: Arturo Ui (Martin Wuttke), der bei einem alten Schauspieler (Bernhard Minetti) Sprechunterricht nimmt und zunächst kaum einen geraden Satz rausbringt – eine Szene von 1995 aus Heiner Müllers berühmter Berliner-Ensemble-Inszenierung von Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, einer Parodie auf den Verbrecher Adolf Hitler.

Die Theaterwissenschaft ist eine sehr junge Disziplin; erst Anfang des 20. Jahrhunderts begann sie, sich vom Primat der Literaturwissenschaft zu lösen. Gelöst hat sie jedoch bis heute nicht das Problem, wie Theatergeschichte zu erzählen ist. Sich lediglich an die Periodisierung anderer Disziplinen dranzuhängen, also ein „Theater des Naturalismus“, ein „Theater des Expressionismus“ und ein „Theater des Dadaismus“ einfach chronologisch aneinander zu hängen, kann nur Hilfskonstruktion sein. Es bedarf eigener Periodisierung.

„Das Jahrhundert des Theaters“ schlägt eine vor. Jede Folge ist unter einem bestimmten Gesichtspunkt zusammengefasst. Die Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg etwa in Folge 1, Thema: „Die Geburt der Regie“. Im Mittelpunkt steht Max Reinhardt, der am Deutschen Theater in Berlin noch streng naturalistisch arbeitete, danach eines der ersten Kabaretts in Deutschland eröffnete und Jahre später in Salzburg den „Jedermann“ auf die Bühne brachte.

Das Wühlen in den Archiven hat sich ausgezahlt. Theater, wenn auch nur im Fernsehen, zu sehen, ist allemal interessanter als darüber zu lesen. Nicht umsonst heißt théa auf Griechisch: die Schau. Neben bekannten Theaterbildern wie Mutter Courage, die ihren Wagen zieht, sind auch seltene Aufnahmen zu sehen. In späteren Verfilmungen seiner Inszenierungen wird der russische Regisseur und Schauspieler Konstantin Stanislawski gezeigt, der Ende des 19. Jahrhunderts eine völlige Verschmelzung von Darsteller und Rolle forderte. Gegenübergestellt werden seinen Tschechow-Inszenierungen die der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin, in den 70ern das deutsche Theater.

Die Stimme ihres berühmtesten Protagonisten führt übrigens aus dem Off durch die Reihe: der als Museums-Audioguide erfahrene, rauchgeschwängerte Bariton Otto Sanders. Die weibliche Stimme gehört Esther Schweins, die 3sat vor kurzem zu seiner Theaterbeauftragten ernannt hat und sie mit der Moderation des samstäglichen Magazins „Foyer“ beauftragt hat. So macht Theaterfernsehen Spaß.

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