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Hoffnung im Osten begraben

Arbeitslosenzahlen machen das Versprechen des Kanzlers zunichte, wenigstens die Vier-Millionen-Marke zu unterschreiten. Grund: Strukturprobleme in Ostdeutschland. Union wittert Morgenluft. SPD verkündet jetzt doch lieber „Wahrheiten“

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Eigentlich ist es ein Ritual: Jeden Monat wieder verkündet die Bundesanstalt für Arbeit die aktuelle Zahl der Arbeitslosen. Und seit Jahren schwankt sie immer rund um die vier Millionen Menschen. Diesmal waren im Juni 3,954 Millionen Arbeitslose gemeldet, saisonbereinigt sind es 4,092 Millionen.

Und dennoch bedeutet diese Juni-Zahl eine Wende. Hat sie doch gleich zwei Versprechen zunichte gemacht, die Bundeskanzler Gerhard Schröder und Arbeitsamtschef Florian Gerster kürzlich abgeben hatten.

Versprechen I: Nachdem der Kanzler ursprünglich – am Wahlabend 1998 – die Zahl der Arbeitslosen „signifikant“ reduzieren wollte, kündigte er vor zwei Jahren an, sie wenigstens „deutlich unter 3,5 Millionen zu senken“. Dieses schon bescheidene Ziel wandelte sich dann vor kurzem zum Minimalziel, dass die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt unter vier Millionen liegen solle. Aber auch das ist unerreichbar, wie die Juni-Zahlen belegen.

Versprechen II: Ganz im Sinne seines Auftraggebers Schröder prognostizierte Gerster im April, dass die Zahl der Arbeitslosen bis zur Wahl monatlich „sechsstellig“ sinken würden. Stattdessen sind sie im Juni sechsstellig um 260.000 Menschen gestiegen, wenn man den Vorjahresmonat heranzieht. Der Hoffnungsträger verbreitet jetzt eine Hoffnung weniger.

Die Union ist sichtlich erleichtert: Mit diesen Schwächen im Regierungslager kann sie endlich Wahlkampf machen beim Thema Arbeitsmarkt. Bisher haben CDU/CSU das zwar versucht, aber im Gedächtnis des Wählers blieb nur haften, dass sich Kanzlerkandidat Edmund Stoiber und Superkompetenzanwärter Lothar Späth nicht einigen konnten, wie sie die Vorschläge des Hartz-Kommission finden. Während Späth die geplante „Revolution“ auf dem Arbeitsmarkt lobte, monierte Stoiber die „sozialen Ungerechtigkeiten“. Nun aber wollen die beiden am Freitag gemeinsam Einigkeit und Kreativität demonstrieren – und ihre „Offensive 2002 – Aufschung für Arbeit“ präsentieren. Was dieses Papier denn vom Wahlprogramm der Union unterscheide? Diese Frage konnte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer gestern nicht so recht beantworten: Man werde die wirtschaftspolitischen Aussagen „zentrieren“. Dafür hatte er aber noch eine Botschaft an den Bundeskanzler: Er sei „eine Bedrohung für die Menschen im Osten“.

Bisher hat der Osten im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt – aber auch das ist nun seit gestern anders. Denn obwohl es eigentlich keine Neuigkeit mehr ist, wurde es dennoch erneut deutlich an den Juni-Zahlen: Die Arbeitsmarktprobleme sind ganz wesentlich ostdeutsche Strukturprobleme.

Der Brandenburger Exministerpräsident Manfred Stolpe, neuerdings Ost-Beauftragter der SPD, schätzte den Bedarf an Arbeitsplätzen im Osten auf „etwa eine Million“. Schnelle Lösungen wollte und konnte er aber nicht bieten: „Das Schlimmste, was man tun kann, ist Menschen etwas vorzumachen.“ Also plädierte er für „nüchterne Wahrheiten“. Es sei kein Zufall, dass der Solidarpakt II bis „zum Silvesterabend 2019“ terminiert ist. Solange ziehe sich der Aufbau Ost noch hin.

Dennoch soll er ein wenig beschleunigt werden. Die Hartz-Kommission denkt inzwischen über ein „14. Modul“ für Ostdeutschland nach, an dem auch Stolpe beratend mitwirkt. Welche neuen Vorschläge er einbringen wird, blieb gestern ein wenig unklar: Der Exministerpräsident lobte vor allem die Maßnahmen seiner eigenen Amtszeit wie den „Stadtumbau Ost“ oder den Beschluss, alle neuen Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland anzusiedeln.

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