: Inszenierte Wirklichkeit
Er porträtierte – scheinbar dokumentarisch – Armut und Verrohung der spanischen Bergregion Salamanca: Luis Buñuels „Las Hurdas“ und Ramón Gielings Suche nach der Wahrheit: Zwei Filme im Metropolis
Über seinen einzigen Dokumentarfilm Las Hurdas – Land ohne Brot (1932), sagte der spanische Regisseur Luis Buñuel einmal: „Er basiert auf der Wirklichkeit“. Das ist insofern von Bedeutung, als Buñuel auch mit diesem „Nonfiction“-Werk die Verschränkung politisch-ideologischer und poetisch-surrealer Elemente betrieb.
In den filmischen Skizzen von Las Hurdas wird das Reale fiktionalisiert. Der Film gibt vor, eine Reportage über eine schwer zugängliche Berggegend in der spanischen Region Salamanca zu sein. Scheinbar dokumentarisch deckt er Armut und menschliche Verrohung auf. Doch diese im Kern wahren Umstände dramatisiert und manipuliert Buñuel. Mit voyeuristischer Genauigkeit beschreibt er schreckliche Vorkommnisse. „Die moralischen und religiösen Wertvorstellungen sind trotz der großen Armut gleich wie überall sonst auf der Welt“, sagt eine Stimme.
Im Tonfall unbeteiligt, nimmt Buñuel damit die Haltung des Bürgertums gegenüber der bäuerlichen Unterschicht ein. Eine Sinfonie von Brahms untermalt die schockierenden Bilder. Man sieht kranke, vor sich hin vegetierende Menschen und Bergziegen, die von den Bewohnern verspeist werden, wenn sie im felsigen Gelände abstürzen. Buñuel verhehlte nie, dass er für Las Hurdas die Bilder der Realität auf tendenziöse Weise in eine ästhetische Form goss.
Dies verdeutlicht auch der holländische Regisseur Ramón Gieling. In seinem Film Die Gefangenen des Luis Buñuel wandelt er 70 Jahre später auf den Spuren der Bewohner von Las Hurdas. Nicht ohne surrealistischen Witz interviewt er Dorfbewohner der immer noch strukturschwachen Region. Manche stimmen mit Buñuel überein. Andere erzählen, dass die Medien die wahren Begebenheiten noch immer verzerrt darstellen. Ihre ökonomische Lage hat sich zwar inzwischen gebessert, aber wie es scheint, leiden die Menschen auch heute noch an den Folgen von Buñuels Dokumentation: Touristen kommen aus aller Welt, weil sie Las Hurdas gesehen haben. Gieling ermittelt von Buñuel für tot erklärte Personen und zeigt sie quicklebendig vor der Kamera.
Auch er kann freilich nicht die Manipulation der Bilder verhehlen: Für die Darstellung eines Besuchs bei einem Dorfbürgermeister, dem er eine Buñuel- Büste überreichen will, braucht er mehrere Anläufe.
Julian Weber
Las Hurdas (E/F 1932) und Die Gefangenen des Luis Buñuel (NL 2000), heute 21.15 Uhr, Metropolis
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