: „Mit offenem Visier arbeiten“
Polizeipräsident Dieter Glietsch will auch ohne gerichtliche Verurteilung von Straftaten im Amt disziplinarrechtliche Schritte gegen Beamte prüfen und plädiert für eine Kennzeichnung mit Namen
Interview PLUTONIA PLARRE
taz: Herr Glietsch, im Zusammenhang mit den Einsätzen rund um den 1. Mai hat Ihre Behörde einen deutlichen Rückgang der Strafanzeigen gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt verzeichnet. Am 1. Mai 2001 waren es noch 25 Strafanzeigen, in diesem Jahr mit 13 nur die Hälfte. Worauf führen Sie das zurück?
Dieter Glietsch: Das führe ich darauf zurück, dass es in diesem Jahr weniger Auseinandersetzungen zwischen Störern und der Polizei gab.
Hat sich die Polizei korrekter verhalten als im vergangenen Jahr?
Nicht nur wir, auch die Medien haben in der Bewertung des 1.-Mai-Einsatzes festgestellt, dass das Polizeikonzept in diesem Jahr dazu geführt hat, dass es zu weniger Gewalt gekommen ist. Und wenn es zu weniger Gewalt kommt, hat das in der Regel auch zur Folge, dass es seltener zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Störern kommt. Das hat sich ganz offensichtlich auch so ausgewirkt, dass weniger Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Übergriffe erstattet werden.
Kann es nicht sein, dass wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg weniger Anzeigen erstattet werden?
Das glaube ich nicht. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sich von einem Jahr zum nächsten plötzlich die Erkenntnis verbreitet, dass sich Anzeigeerstattung nicht lohnt.
Die Erfahrung sagt, dass Verfahren gegen Polizisten in der Regel im Sande verlaufen, weil die Tat nicht persönlich nachgewiesen werden kann. Was tut die Polizei zu ihrer Selbstreinigung?
Es gibt viele Beispiele dafür, dass Polizeibeamte auch verurteilt werden. In jedem Fall, wo ein Strafverfahren mit einer Einstellung endet, prüfen wir sehr sorgfältig, ob es einen disziplinarrechtlichen Überhang gibt.
Was heißt das?
Es gibt Fälle, wo ein Ermittlungsverfahren eingestellt wird, weil Gericht und Staatsanwalt der Auffassung sind, dass zwar eine Straftat vorliegt, die Schuld aber gering ist. In solchen Fällen hat der Dienstherr zu prüfen, ob die Dienstpflichtverletzung eine disziplinarrechtliche Maßnahme zur Folge haben muss. Das kann von einem Verweis bis hin zu einer Geldbuße gehen.
Und was passiert, wenn sich der Richter – wie geschehen – zu einem Freispruch von Angehörigen einer geschlossenen Einheit genötigt sieht, weil er bei den Polizeizeugen auf eine Mauer des Schweigens gestoßen ist?
Wenn ein Richter in der Urteilsbegründung von einer Mauer des Schweigens spricht, würde ich das als einen sehr bedenklichen Vorgang bewerten. In so einem Fall muss der Vorgesetzte sehr sorgfältig prüfen, ob nicht in der Einheit, aus der die Angeklagten kommen, gravierende personelle Veränderungen erfolgen müssen.
Was heißt das konkret?
Man muss zum Beispiel darüber nachdenken, ob die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nicht geschlossen, sondern einzeln – in andere Dienststellen versetzt werden, in denen ein solches Zusammenwirken, wie es vom Gericht festgestellt worden ist, nicht mehr möglich ist.
Den Polizeigewerkschaften wird das kaum schmecken. Die werden sagen, Freispruch ist Freispruch.
Das glaube ich nicht. Ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass auch Gewerkschaften sehen, dass ein solches von einem Gericht festgestelltes Verhalten Konsequenzen haben muss.
Ein Polizist, der gegen eigene Kollegen aussagt, riskiert, als Nestbeschmutzer ausgegrenzt zu werden. Was kann man gegen den Korpsgeist tun?
Man muss den Kollegen öffentlich Mut machen und dafür sorgen, dass sie von ihren Vorgesetzten den Rücken gestärkt bekommen. Unabhängig vom konkreten Einzelfall sollten Behördenleitung und Vorgesetzte immer wieder deutlich machen, dass Straftaten von Polizisten der gesamten Behörde schaden. Damit wird auch ein Beitrag zur Prävention geleistet.
Auch die Kennzeichnung von Polizisten wäre ein Beitrag zur Prävention. Was halten Sie von diesem von der rot-roten Koalition ins Auge gefassten Vorhaben?
Ich halte sehr viel davon, dass Polizeibeamte mit „offenem Visier“ arbeiten, und zwar möglichst bei allen Gelegenheiten. Es gibt Beamte, die befürchten, dass sie in bestimmten Situationen – insbesondere bei Großeinsätzen von geschlossenen Einheiten gegen Gewalttäter – zu Unrecht angezeigt und verfolgt werden. Diese Angst muss man ihnen nehmen. Man kann sie aber nicht einfach dazu verpflichten, sondern man muss dafür werben, sich freiwillig zu kennzeichnen. Möglichst nicht mit Nummer, sondern mit Namen.
Die Gewerkschaft der Polizei ist strikt dagegen. Wenn Sie auf Einvernehmlichkeit setzen, müssen Sie die Kennzeichnung wohl abschreiben.
Ich bin davon überzeugt, dass es zur Kennzeichnung kommen wird, aber nicht von heute auf morgen. So ein Vorhaben braucht Zeit, und die sollten wir uns nehmen.
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