: Auf dem Kunstschießplatz
Der Aktionskünstler Peter Kees untersucht nationale und globale Zustände
Berlin, Stadt der verwaisten Ladenlokale! Kürzlich wurde wieder eines von einem Kulturschaffenden adoptiert. Hinter leeren Schaufenstern an einer hübschen Ecke in Prenzlauer Berg hat Peter Kees seine „Arbeitsgalerie“ bezogen. Jetzt haben die Leute etwas zum Gucken. Manchmal gibt es Krach hinter der Scheibe. Und neulich wurde sogar geballert.
Kees verwandelte die Räume in einen Kunstschießplatz und brachte dafür ein Luftgewehr, eine Polaroidkamera, einen Videorekorder und ein paar ahnungslose Menschen zum Einsatz. Diese ließen sich am Eröffnungsabend bereitwillig ablichten. Ihre Fotos wurden als Schießscheiben an die Wand gepappt. „Ich möchte wissen, wie es dir geht, wenn du die Waffe auf dein eigenes Bild richtest“, sagte der Künstler und forderte zum Schießen auf. Dazu zückte er die Kamera und dokumentierte die Gäste, während sie abdrückten.
Als Bild- und Geräuschkulisse wurden dazu die Nachrichten des 11. September 2001 eingespielt. In schwarzen Lettern las man zudem ein Zitat von Kant: „Die Pflicht gegen sich selbst besteht darin, die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person zu bewahren.“ Bei einem Besucher kam die Frage auf, wo die Kunst aufhöre und der Unsinn beginne. Ein Statement, das die Großwetterlage der Kees’schen Kunstwelt durchaus trifft: Seit Jahren spürt der Performer nationalen oder globalen Zuständen nach, auch wenn es ihn dabei bis an die Grenze von Absurdistan treibt. Was er an kollektivem Irrsinn nicht verstehen kann, das will Kees schlicht und einfach selbst erfahren.
So besorgte er sich jüngst die Flaggen aller Nationen und verbrachte einen langen Abend damit, diese zu übertünchen. Jede Einzelne zog er durch einen Bottich mit dicker, weißer Farbe. Mit diesen „White Flags“ tapezierte er das gesamte Ladenlokal, das sich somit in einen Abklatsch des Allerweltsworts Globalisierung verwandelte.
Noch lieber fährt Kees durchs Land und mischt sich unters Volk. Gerne sieht er sich dann in der Rolle des Aufklärers, weshalb er bevorzugt mit Lautsprechern und Megafonen arbeitet. Für eine Straßenaktion baute er 1999 ein technisch aufgerüstetes DDR-Grenzfahrzeug zum „Labor für Demokratie“ um und reiste damit die 1.391 Kilometer der ehemaligen deutsch-deutschen Demarkationslinie ab. Aus den Boxen auf dem Dach des Fahrzeugs hörte man Bürgerstimmen, die ihre Meinung zur Wiedervereinigung zum Besten gaben. Den O-Tönen untergemischt war die Nationalhymne.
Bei einer anderen Aktion fuhr Kees mit einem Leichenwagen durch Berlin und Brandenburg. „Billig, billig, billig. Entsorgung und Bestattung von Opfern rechtsextremer Gewalt“, stand auf den Seitenflügeln. Sehr Titanic-like war das – mit dem Unterschied allerdings, dass Kees lange und ausführlich mit dem Publikum vor Ort redet.
Der Konzept- und Aktionskünstler doziert, demonstriert und inszeniert. Als Geistesverwandter von Günter Wallraff bezieht er dabei die eigene Person mit ein. Wo Christoph Schlingensief mit kühlem Zynismus gegen den Wahnsinn der Republik Regie führt und notfalls sogar Behinderte ins Pop-TV schickt, geht es Kees um die Dramen der Wirklichkeit. An ihnen arbeitet er sich ab und versichert sich so seiner selbst in einer wirren Welt.MARGARETE HUCHT
Die Arbeitsgalerie von Peter Kees, Belforter Straße 9, ist freitags von 15 bis 20 Uhr geöffnet
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