Der Tod ist ein kleiner Fleck

Während sie in Deutschland vom PC verschwinden sollen, entdeckt die U.S. Army Ballerspiele als Rekrutierungskrücke. Mit dem Ego-Shooter „Operations“ will sie vor allem um Jugendliche werben

von ALEX MENGER

Es war wie der Fall von Saigon im schnellen Rücklauf: Vor der Halle standen die Panzer, innen seilten sich Marines aus der Höhe zu Tausenden Zivilisten ab. Die waren aber freiwillig da: Mitten auf der Electronic Entertainment Expo (E3), der größten Computerspielemesse der Welt – am Stand der US-Armee.

Was Ende Mai in Los Angeles aussah wie ein weiterer Einsatz im Kampf gegen den Terror, entpuppte sich als die jüngste Rekrutierungsmaßnahme der amerikanischen Streikräfte. Stolz wurde ein zwei Jahre lang geheim gehaltenes Projekt enthüllt, das sieben Millionen Dollar an Steuergeldern verschlang: „America’s Army“, eine Reihe von ultrarealistischen Computerspielen von und über die größte Militärmacht der Welt.

Weil es der trotz anhaltender Pro-USA-Euphorie an jungen Rekruten mangelt, wird eine neue Generation erschlossen: die der „Gamer“. Schließlich hat sich die Branche in wenigen Jahren von einer Subkultur zu einem Markt entwickelt, der mit 30 Milliarden Dollar jährlich mehr Umsatz macht als Hollywood.

„Counter Strike“ in Echt

Die Rechnung ging auf: Als „Operations“, das erste Spiel, ganz patriotisch am vergangenen Freitag zum amerikanischen Unabhängigkeitstag kostenlos unter www.americasarmy.com verfügbar war, registrierten die Militärs allein in den ersten 24 Stunden fast eine Million Zugriffe.

„Ops“, so das militärische Kürzel des Spieltitels, ist ein Ego-Shooter Marke „Counter Strike“ – nur echter. Alle Waffen schießen genauso, werden genauso nachgeladen und haben den selben Rückstoß wie die Originale.

Natürlich lässt die Army nicht jeden Dahergelaufenen an solche Dinger: Davor steht eine knallharte Ausbildung. Nachdem sich der dreidimensionale Polygon-Rekrut mit dem Gewehr vertraut machen durfte, wird er danach mit Hindernisläufen zermürbt. Unter verbaler Dauerbedrohung der Drill Instructors („Don’t mess up my freshly raked sand pit!“) soll der Spieler über Kletterwände hetzen – für jeden deutschen Wehrdienstverweigerer eine gute Gelegenheit, sich virtuell und abschaltbar demütigen zu lassen.

Nach Abschluss des Trainings wird der frisch gebackene Soldat in seine ersten Kampfeinsätze geschickt. Ganz an die politische Situation angepasst, gilt es eine Ölpipeline in Alaska (!) vor islamischen Terroristen zu schützen. Zwei Teams treten im Internet gegeneinander an, weil aber alle gute amerikanische Soldaten sind, erscheinen sie auf dem eigenen Bildschirm stets als GIs – und nur auf den Mattscheiben des Gegners als Terroristen. Gut erkennbar an ihren weißen Turbanen.

Der Realismusanspruch endet beim finalen „Kill“: Keiner der getroffenen Feinde wird sich schreiend in seinen Eingeweiden wälzen – sie fallen einfach um und bleiben liegen. Den Tod markiert ein kleiner roter Fleck. Solch klinisch reines Ableben ist das Zugeständnis der Army an die Jugend der Spieler.

„Erwachsenen“-Shooter nutzen die Streitkräfte intern bereits seit Jahren zum Training. Laut einer Armeestudie senken sie die Hemmschwelle und verbessern Reaktions- und Teamfähigkeit.

Weil aber das Soldatenleben nicht nur aus Kämpfen besteht, soll der Gamer in dem im August erscheinenden Spiel „Soldiers“ lernen, sein sonstiges Leben zu bewältigen: Er muss mit seinem Sold auskommen, rechtzeitig aufstehen, lernt unter Umständen einen Partner kennen, heiratet und – das alte Leid der Militärs – lässt sich scheiden.

Während die Ego-Shooter-Debatte in Deutschland die Gemüter erhitzt und laut über Zensurmaßnahmen und die Verschärfung des Jugendschutzes diskutiert wurde, denken die Amerikaner nicht einmal darüber nach: „Operations“ wurde von der amerikanischen Rating-Behörde ESRB ab 13 Jahren freigegeben, „Soldiers“ kommt gar ganz ohne Altersbeschränkung aus.

Mediales Schweigen

Auch die Medien hüllen sich in Schweigen, nur der Boston Globe prangerte auf verlorenem Posten die staatlich finanzierte Versorgung der Jugend mit Killerspielen an. Die seit Jahrhunderten im First Amendment, dem ersten Verfassungszusatz, garantierte Meinungsfreiheit verhindert den Diskurs.

Für Deutschland ergibt sich allerdings ein interessantes Planspiel: Wie soll die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) verfahren, wenn es zu einer Indizierung von „America’s Army“ kommt? Die gerichtliche Verfügung zur Abschaltung der Army-Server dürfte wohl kaum in Frage kommen. Die Gamer machen auf ihre Weise Druck: Sie haben nun selbst bei der BPjS beantragt, „America’s Army“ auf den Index zu setzen. Möglicherweise werden sich also bald Marines von der Kuppel des Bundestags seilen.