: Zähne putzen nicht vergessen
Zweiraumwohnung mit Zierfischen: Die junge Regisseurin Tina Lanik inszeniert im Münchner Haus der Kunst Fassbinders nachgelassenes Werk „Tropfen auf heiße Steine“
Viel steckt nicht in dem Stück – und doch der Keim zu allem, was Rainer Werner Fassbinder bewegte. Und sehr wahrscheinlich der junge Liebesfrust des gerade 19-Jährigen. Der musste raus, und dann wird wieder alles sehr schnell gegangen sein. So gleicht „Tropfen auf heiße Steine“ einem vorzeitigen Erguss – momentan erleichternd, aber dann schweigt man besser drüber.
Fassbinder hat die Jugendsünde darum weise im Nachlass vergraben: Franz Meister – ein frühes Pseudonym des Autors, vermutlich Franz Biberkopf gewidmet – ähnelt seinem Erfinder von der Kinderheimkarriere bis zum „pseudotragischen Ende“, wie es im Untertitel heißt. Dazwischen liegt (im Stück) ein bisschen Anna und etwas mehr und viel gewichtiger: Leopold Bluhm, Handlungsreisender, der stets beteuert, gut im Bett zu sein.
Bluhm ist vermutlich das Alter Ego des Schauspielers Theo Rosser, mit dem der junge Fassbinder liiert gewesen sein soll. In der Inszenierung des Bayerischen Staatsschauspiels gibt ihn Marcus Calvin als übel verlockendes Früchtchen. Was er am Anfang an cooler Macht versprüht, als er den sehr viel jüngeren Franz (sehr quirlig: Philipp Hauß) in seine Wohnung lockt, macht Hoffnung auf einen Abend, der die Spannung zwischen den Figuren hält. Noch in den artifiziellsten Aufstellungen (schräg voneinander weggebogen in einer Ecke des überdimensionierten Raums) tragen die körperlosen Stimmen sie zueinander hin. Dann geht Franz schon mal ins Schlafzimmer, Leo wäscht noch die Gläser, und 2raumwohnung singen aus dem Off von „zwei von Millionen von Sternen, die sich in der Nähe voneinander entfernen“. Hier fühlt man etwas und hat auch was verstanden. Nicht mehr allerdings, als man unbedingt verstehen sollte. Und das kommt danach nie wieder vor in dieser stets überdeutlichen Inszenierung.
Es ist die letzte Premiere vor der Sommerpause am Bayerischen Staatsschauspiel, platziert im Haus der Kunst, das als dritte Dependance eher für Experimente steht – vor allem was die Raumlösungen anbelangt. Und tatsächlich ist in der Regiearbeit der 28-jährigen gebürtigen Stuttgarterin Tina Lanik, die in Berlin lebt und nach Politologiestudium und Assistenzen bei Luc Bondy in Österreich inszeniert hat, in keiner Weise der Hausherr Dieter Dorn zugegen.
Laniks Bühnenbildnerin Magdalena Gut macht es immerhin möglich, dass aus einem großen 70er-Jahre-Zimmer samt Aquarium und Holzvertäfelung dasselbe noch mal in Klein herausklappt. Darin kickst ein hibbeliger Franz „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ und wartet endlos auf seinen Handlungsreisenden; darin zielt Leo mit harten Worten auf den Liebesrest und mit der Aktentasche auf den Einbauschrank – und am Ende zielt jeder (beider Exfreundinnen sind mittlerweile zugegen) auf die Geschlechtsteile der anderen: „Da!“ – „Danke!“ – „Bitte!“ Äußerlich berührbar sind sie nämlich schon. Und wenn sie sich küssen, kleben sie fest an den Lippen zusammen. Mit den Herzen schon lange nicht mehr.
Wenn die Wände enger werden, wird das Leben banal. Dann wird es fad. Da braucht es offenbar ein paar „Einfälle“ zum Aufpeppen, wenn man schon nicht die fassbindertypische Zerdehnungslinie einschlagen mag. Gibt doch die Dauernummer mit dem Devoten gegen den Tyrannen auch in homosexuellen Beziehungen nicht viel her. Auch nicht, wenn man den „Starken“ mal wimmern und den „Schwachen“ mal aufbrausen lässt. Beim Sex immerhin scheint der fliegende Wechsel von Oben und Unten noch zu klappen. Auch wenn das Ganze dann eher nach beißwütiger Balgerei aussieht.
Die Liebe ist ein Spiel, bei dem man am Anfang schon ahnt, dass es am Ende auf etwas hinausläuft, was man nicht will. Das Theater ist ein Spiel, bei dem es auf das Ende ankommt. In Worten geht es so: „Ich putz mir nur schnell die Zähne, dann komm ich“, sagt Leopold zu Vera. „Ja, Leopold“, sagt Vera. Und Anna, die hier zum Weinen hühnchenhafte Tanja Schleiff, liegt schon im Bett. In Taten fügt der Abend dem da bereits toten Franz (Selbstmord durch Gift) noch drei Gefühlstote hinzu. Bingo! Das Theater hat seinen Auftrag erfüllt. Jedenfalls was den Titel angeht: Aus der Bühnenmaschinerie hat sich mit großem Ächzen ein Tropfen gelöst – und ist ganz rasch verzischt.
SABINE LEUCHT
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