: die wirrsten grafiken der welt (documenta-spezial): joseph beuys zeichnet denkbilder und diagramme auf tafeln und taschen
Joseph Beuys – Genie oder Scharlatan? Hier gehen die Meinungen auseinander. Wer jemals die rund 20 Jahre alte Single „Wir wollen Sonne statt Reagan“ aufgelegt hat, weiß immerhin, dass Beuys nicht singen konnte. Dass er auch nicht zeichnen konnte, beweist der Katalog „Joseph Beuys – documenta-Arbeit“, Kassel 1993 (Edition Cantz). Der Beuys-Forscher Dieter Scholz hat
freundlicherweise einige Kopien daraus eingesandt und dazu angemerkt: „Wie ein Schulmeister zeichnete er auf Schultafeln, während er seine Sicht der Dinge mündlich erläuterte. Die Grafiken sollen der besseren Verständlichkeit dienen, bleiben für die Nicht-Dabeigewesenen aber oft rätselhaft.“ Und zwar bis heute. Man erkennt noch, dass es irgendwie um große Dinge ging, um
Selbstverwaltung, Informationsebenen, Gegenseitigkeit, Verfügungsrecht, Freiheit, Wissenschaft, Kultur, Produktionsmittel, Objekt, Subjekt, Seele, Geist und so weiter. Doch man ahnt auch, dass Beuys mit solchen Taschenspielertricks allenfalls vorübergehend seinem obskuren „Büro für direkte Demokratie“ vorstehen konnte und schmählich gescheitert wäre, wenn man ihm eine
ernsthafte Aufgabe übertragen hätte, zum Beispiel die Leitung einer Wurstbude. Da hätten sie schön geschaut, die Herren vom Finanzamt, wenn ihnen der Inhaber von „Jupp’s Schaschlothek“ mit seinen organischen Krakelüren gekommen wäre statt mit ordentlich geführten Büchern. Aber mit uns Kunststudenten kann man’s ja machen. GERHARD HENSCHEL
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